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Ich gucke mal rasch bei Judith Tick nach („Becoming Ella Fitzgerald“, ich hab auf die in Europa erst seit ein paar Wochen lieferbare TB-Ausgabe gewartet). Die Autorin bezeichnet sich in der Einführung zum Buch als „second wave feminist“ und legt soweit ich sehen kann kein besonderes Augenmerk auf queere Aspekte (was man bei einer Ella-Biographie vermutlich auch nicht tun muss). Im Porter-Kapitel (das Buch ist chronologisch, das Kapitel für die Jahre 1956/57 heisst „The Cole Porter Experiment“ gibt es auch nur Hinweise. In einem Interview mit Willis Conover (18. April 1956 in Washington, VOA), sagt sie im Kontext des demnächst erscheinenden Albums: „F: […] and I even get a little sexy on a couple of songs. [both laugh] / C: With Cole Porter lyrics it’d be hard to avoid I guess. / F: Yeah, I don’t think some of them will ever reach the air, but they can get ‚em in the stores for, uh, your own personal use [both laugh].“ (Tick, 255) – Da kann man schon zwischen den Zeilen lesen, dass Ella die Songs vermutlich einigermassen verstanden hat.
Bisschen mehr Hintergrund zum Album, wenn ich da grad schon lese: Anfang 1956 ging Ella mit einer JATP-Packung (natürlich von Granz organisiert, der immer mitreiste) nach Europa, und Granz sollte in Italien auch Porter treffen. Erst da merkten sie, dass sie „Night and Day“ vergessen hatten: Granz meinte, sie können überall hin fahren ausser nach Italien … und zurück in den USA holten die das Versäumnis nach (und machten bei der Gelegenheit noch ein paar Re-Takes von schon eingespielten Songs; Tick, 252). Es ging anscheinend bei den Sessions alles sehr schnell (Bregman – der im Rahmen dieses Auftrags, wie Milt Bernhart sagte, „practically went from college to Ella Fitzgerald in one jump“, aber, auch Bernhart, „did very well“, und auch Paul Smith hatten sich darüber auch beklagt; Tick, 251f.).
Bei den Proben, „Bregman would sing through a song, then she would take that rendition as the template for her work. She had no need to infuse it with drama or her own personality. Instead, she said, ‚I’ll just sing it, I’ll just sing it exactly as you did.‘ Bregman was so startled, he followed up. ‚I said, ‚Don’t you want to add?‘ Ella said, ‚Nope, I want to do it exactly how it is.'“ (Tick, 250; Quelle ist ein eigenes Bregman-Interview von Tick im Jahr 2010). Natürlich, so fügt Tick an, sollte man das diese „self-imposed simplicity“ nicht allzu wörtlich nehmen, aber der „classical approach to material that had typically been treated as a chart rather than a score“ macht ja gerade die Besonderheit der Song Books von Ella Fitzgerald aus. Und da ist natürlich Ellas Time, ihr Swing: sie hat Porters Song quasi mit rhythmischen Mitteln zu Jazz-Songs gemacht.
Porter hatte Granz schon früher mal kontaktiert, als er „Now You Has Jazz“ (aus dem Film „High Society“) schrieb: „He sought reassurance on his use of jazz vernacular“, und nachdem Granz ihm geholfen hatte, schickte er diesem ein Lead Sheet, auf dem stand, „By Norman Granz and Cole Porter“, das Granz sich dann rahmen liess und in seinem Büro in Hollywood aufhängte (Tick, 252). Granz bemühte sich dann auch um was Zitierfähiges für die Plattenhüllen, und entlockte Porter den Kommentar: „My, what marvelous diction that girl has.“ – James Gavin schreibt aber, dass Porter auch „withering letters of criticism“ verfasst habe über Interpretationen seiner Songs durch Fitzgerald, Frank Sinatra und Lena Horne (Tick, 253).
Tick berichtet dann über den immensen Erfolg: innert eines Monats über 100’000 Exemplare verkauft – und as bei einem damals hohen Preis ($9.95), noch Anfang 1959 in den Top-20 Jazz-Charts von Down Beat, gute Reviews … mit den drei Sets von Liner Notes und dem Foto von Ella: „A Black woman without a white-womanhairdo, she poses assertively with hand on hop, holding a lead sheet in rehearsal. It was a perfectly calibrated package for upper-middle- and middle-middle-class affluent customers listening to high-fidelity LPs on their fashionable home consoles“ (Tick, 265). Neben positiven Reviews (Billboard, Down Beat) gab es aber auch die erwartete Kritik, Tick zitiert Bill Coss, der in Metronome meinte, die Texte von Porter seien „out of Ella’s realm of experience“ und besonders ihre Version von „Love for Sale“ kritisiert. Tick schiebt nach, dass er auch noch „Miss Otis Regrets“ hätte herausheben können – dass Coss aber am Ende noch in Singles dachte, während Granz mit dem Doppelalbum und dem Gesamtpaket (das er in einem Schreiben an den Herausgeber von Metronome verteidigte, auch daraus zitiert Tick kurz) eben in der neuen Einheit Album dachte.
„Probably none of these men anticipated the extent to which Fitzgerald would serve as Porter’s messenger. The Porter expert Robert Kimball credits this album with ‚introducing more people to Porter’s songs than any other recording at the time of its release.‘ The inherent tenderness of her voice emphasized the implicit humanity of his songs, mediating the remote sophistication in Porter’s lyrics. As the composer-critic Alec Wilder wrote, ‚Porter’s most quoted lines are all the East Side New York sophisticated kind. But no matter how distant or unrealistic, no matter how weary or cynical they may have been, Porter’s lyrics were astonishingly softened and warmed by his music.“ In retrospect, the album was more than the sum of its parts. Fitzgerald synthesized African American and Euro American singing practices to produce a hybrid model fo a ‚jazz pop‘ performance of show tunes and a classic recording on its own terms“ (Tick, 257). (Das Kimball-Zitat stammt aus den Liner Notes zu einem Reissue des Albums von 1976, das Wilder-Zitat natürlich aus seinem Buch „American Popular Song“.)
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