Antwort auf: 100 beste Jazzalben des Rolling Stone, kommentiert

#12488195  | PERMALINK

vorgarten

Registriert seit: 07.10.2007

Beiträge: 13,132

um das noch mal zu differenzieren, was ich mit der latent rassistischen aussage meinte, dass fitzgerald ja eigentlich keinen zugang zu der welt von cole porter hatte (also eventuell nicht wusste, was sie da singt), so sind das total komplexe manöver in einem feld, das ja eigentlich popmusik ist, also breite bedürfnisse befriedigt und sich bei vielen menschen gut verkauft.

cole porter nutzt als queere strategie mainstream-material (das von sich aus gar nicht so gemeint ist, dass darin minderheiten repräsentiert werden könnten), um darin doppelbedeutungen unterzubringen, die die mehrheit zwar irgendwie als „schlüpfrig“ wahrnimmt, aber eben nicht als queer. auf dieser ebene ist das ja auch total ungefährlich, und leute wie buddy bregman werden schon die ein oder andere ahnung von solchen mehrfach-codierungen gehabt haben (und fitzgerald bestimmt auch). das sind reize, die als „wit“ oder „sophistication“ direkt in den erfolg der songs einzahlen. aber man kann das auch als strategien lesen, wie sich minderheiten in einer mehrheit bewegen, von der sie eigentlich ausgeschlossen sind. für diese strategien braucht es aber auch möglichkeiten der gesellschaftlichen teilhabe und andere ressourcen – ein dandy wie porter konnte sich einiges erlauben und bekam beifall von seinen eingeweihten freunden, aber auch von den gesellschaftlichen kreisen, in denen er sich bewegte.

lorenz hart wiederum (der texter von richard rogers) war sein leben lang quasi eine motte im kleiderschrank, seine texte haben weniger zweideutigkeiten, sondern eine rafinesse im umkreisen des themas der unerwiderten oder der unmöglichen liebe, was popkulturell andere signale setzte, aber auch mit z.b. rassismus-erfahrungen oder (musikalisch) blues-formen anschlussfähig war. und billy strayhorn hatte wiederum noch weniger ressourcen, um texte, wie codiert auch immer, über schwules begehren zu produzieren.

wie sich fitzgerald darin bewegt hat, ist da mutmaßlich sehr komplex. ich denke halt nicht, dass sie stammgast auf partys von cole porter oder noel coward war. aber wenn sie „miss otis regrets“ singt, ist das ein total abgründiges manöver: in dem song geht es ja eigentlich um einen lynchmord an einer frau, die „ehebruch“ begangen hat, die aber von ihrem dienstmädchen gesellschaftskonform entschuldigt wird, als hätte sie kopfschmerzen. und wenn fitzgerald das singt, hält sie eigentlich der weißen gutbürgerlichen gesellschaft den spiegel der doppelmoral vor. und dabei riskiert sie ja auch noch, in die stereotype rolle des schwarzen dienstmädchens zu schlüpfen.

zuletzt geändert von vorgarten

--