Antwort auf: 100 beste Jazzalben des Rolling Stone, kommentiert

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vorgarten

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KHMER
molvær, aarset, arnesen, ludvigsen, mølster, holand, skår, eicher/holand, holand (1996-97)

wir sind im club, natürlich. aber die trompete spielt in der garderobe in einen mantel, und die gitarre lehnt im getränkelager, die drums stehen vielleicht neben der italienischen kaffeemaschine. von unten kommen die bässe, subterrestrisch, subkutan, dort ist auch die tanzende menge, gefühlt, aber nicht zum anfassen. die große tür, die nach draußen, ist jedenfalls zu. die welt kommt durch ein paar drähte hinein, nicht nur die welt, auch die weltmusik, berimbau, conga, tabla, drinnen treten sie bereits verzerrt auf. und dann löst sich da auch alles auf, garderobe, tresen, getränkelager, die decke des tanzsaals. eine melodie wird durchgerockt, ein beat wird weich, die architektur gerät ins schwimmen. die entfernung zur tanzenden menge bringt die melancholie ins spiel, die trompete ist ein sound für sich in der crowd – aber die musik ist keine rypdalsche eislandschaft, kein schmelzender ecm-gletscher, sie hat eine spezifische wärme, und die kommt, glaube ich, daher, dass es gleichzeitig einen enthusiasmus für elektronik und ein fetisch für das analoge gibt, die luft in der trompete, das fell der drums, die röhre im verstärker (ok, das ist schief). die musik begrüßt das neue und vermisst gleichzeitig schon das, was damit verlorengehen könnte.

erstaunlich, wie genau ich das noch im ohr hatte, obwohl ich mir die cd nie gekauft habe. ich musste mich damit auseinandersetzen damals, argumente dagegen finden: ende der neunziger war ich oft im club und habe daneben jazz gehört, ich brauchte keine fusion. heute höre ich das natürlich gar nicht weit weg von dem, was mich kurze zeit später sehr begeistert hat (graham haynes, TONES FOR THE 21st CENTURY) – oder etwas später (rob mazurek). wobei haynes mit seiner nichtvirtuosen, von ihm kaum steuerbaren elektronik andere atmosphären schafft. hier sind wir eindeutig bei ECM, am anfang scheint man eine verzerrte form von codona zu hören, später geht der vibe von cherry zu miles, ohne innovativ sein zu wollen, und natürlich ist rypdal trotz der wärme von KHMER irgendwie präsent. aber interessant heute zu lesen, dass eicher offenbar erst später angesprungen ist, nachdem das auftragswerk für ein jazzfestival schon fertig war. deshalb sitzt da auch kongshaug noch nicht an den knöpfen, es gibt ein anderes klangdesign. live habe ich das projekt später gesehen, da war schon SOLID ETHER draußen, und ich fand es furchtbar langweilig. heute kann ich es aber sehr gut hören, vor allem, wenn im epos „song of sand II“ wirklich alles zusammenkommt, die einfache melodie, das rockschlagzeug und die aufgelösten architekturen.

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