Antwort auf: David Murray

#12474811  | PERMALINK

gypsy-tail-wind
Moderator
Biomasse

Registriert seit: 25.01.2010

Beiträge: 68,343

vorgarten

david murray black saint quartet, live in berlin (2007)

hier hatte ich definitiv wieder kontakt zu murray aufgenommen, ich saß nämlich bei diesem konzert im november 2007 in der zweiten reihe. eine „lange nacht des jazz“ war der rahmen, im dafür komplett ungeeigneten kulturort radialsystem V, ein ehemaliges abwasserpumpwerk mit sehr hohen decken und auch sonst viel zu großen dimensionen. ich kann mich unscharf an paolo fresu erinnern, auf rava & bollani hatte ich keinen bock, im kleinen saal war ich bei „bauer 4“ (johannes, conny, matthias & louis rastig, wenn ich mich richtig erinnere), beim murray-konzert habe ich dann nur brei gehört. die energie war spürbar, aber die drums gingen nach hinten raus, vom klavier waren keine einzeltöne zu identifizieren und an den basssound kann ich mich gar nicht mehr erinnern. es hat jetzt nochmal lange zeit gedauert, bis ich mich an das audiodokument herangewagt habe, der rbb hatte mitgeschnitten, die soundprobleme sind auch hier im mix zu hören, aber wenigstens hört man, was die vier (murray, gilchrist, shahid, drake) überhaupt gespielt haben. und das ist eine grandiose quartett-aufnahme, wie ich gerade zum ersten mal verstanden habe. eine energetische, stark aufgeladene suite aus dem material von SACRED GROUND, der vater-hommage aus der streichquartettplatte, und „murray’s steps“. lafayette gilchrist spielt unglaublich gut hier, sehr eigen, bass und schlagzeug dahinter total modern (drake spielt in seinen soli einfach den groove weiter und darin ca. 200 variationen jedes einzelnen elements davon). und murray ist total inspiriert. auf dem klavier lag ein großes schwarzes buch, das broecking in den liner notes als john hicks‘ songbook des power quartets identifiziert hat, das er vor seinem tod noch gilchrist übergeben konnte.

vor dem konzert habe ich draußen geraucht und konnte durchs fenster murray beim aufwärmen zusehen. habe mein foto gerade wiedergefunden.

Das Foto von Murray ist so toll, danke nochmal dafür – hab’s jetzt auch mal noch gsepeichert, falls Du es mal wieder brauchst und nicht findest ;-)

Die Soundprobleme sind wirklich da auf diesem Album, das auch gerade zum ersten Mal läuft – aber das Verhaltene von „Sacred Ground“ ist abgelegt, Murray in Form, die neue Rhythmusgruppe findet einen schlankeren Sound mit mehr Groove und Funk. Und Gilchrist, den ich nur aus dieser Band kenne (ich hörte damals was im Radio oder via Dimeadozen, vielleicht auch dieses Konzert, bevor es dann im Jahr nach der Aufnahme erschien), ist wirklich toll hier – auch perkussiver, zupackender als zuvor im Studio. Viel mag ich da auch gar nicht dazu schreiben: ein starker Quartett-Auftritt ist halt am Ende das, was Murray über all die Jahre am besten konnte – und so einen kriegen wir hier. Die Coltrane-Stimmung it auch wieder da, in „Banished“ und „Sacred Ground“ vom gleichnamigen Album, aber auch im folgenden „Murray’s Steps“, einer Variationen über „Giant Steps“. Drumherum sind der mitreissende Opener „Dirty Laundry“ (mit einem Schlagzeug-Solo, wie von @vorgarten beschrieben) und der Closer „Waltz Again“ angeordnet. Mein direktester Vergleich hierzu ist das Village Vanguard-Konzert, und so heiss und gelungen ist dieser Mitschnitt aus Berlin nicht, aber dennoch: Murray liefert immer noch ab und dank der Band – die glaub ich in diesem Line-Up mit Shahid/Drake nicht oft aufgenommen wurde? – ist das auch unbedingt hörenswert!

Also auch nicht direkt Euphorie heute – aber doch neue Facetten, neue Line-Ups, interessante Entdeckungen mit starken Gastauftritten (Sanders, Wilson) und viele hervorragende Momente.

--

"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba