Antwort auf: David Murray

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gypsy-tail-wind
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gypsy-tail-wind

vorgarten

david murray power quartet, like a kiss that never ends (2000)

eine der wenigen murray-cds, die ich mir noch bei erscheinen gekauft habe, wohl, weil ich auf eine aktualisierung des quartetts mit hicks, drummond und muhammad zehn jahre früher gehofft hatte. wesentlicher unterschied: der drummer ist andrew cyrille. auch nicht schlecht, denkt man, aber so richtig passt er nicht hinein (oder, wie andere das vielleicht hören würden: er holt die drei anderen ein bisschen auch ihrer eingespieltheit heraus). es gibt eine eigenschaft, die ich nicht so mag bei ihm: dass er oft toms und becken gleichzeitig anschlägt. aber er macht auch tolle sachen, hier zum beispiel im souljazzstück „ruben’s theme song“, das eigentlich erst durch seine stop-and-go-effekte brenzlig wird. ansonsten ist das programm bewusst gemischt: der titelsong ist eine art paso-doble (schreibt ein spanier in den liner notes, der sollte es wissen), es gibt einen blues, besagten souljazz, eine schöne ballade (von drummond geschrieben), ein freies stück, ein bisschen spiritual jazz (mein highlight in der besetzung, natürlich) und zum schluss das von mir nicht unbedingt geliebte monk-stück „let’s cool one“ für dolphyeske bassklarinette und ein paar glänzende klaviertasten. sehr hübsch und selbstverständlich insgesamt, aber hier geht auch was zuende: mit hicks wird murray danach nicht mehr aufnehmen.

Hier bin ich etwas verwirrt: schrieb noch Anfang Dezember, dass ich das Album auch hätte … das Cover sieht so vertraut aus, vermutlich hatte ich das damals bei Erscheinen immer wieder vor Augen oder in den Händen, aber dann doch nie zugegriffen, ich hab jedenfalls wieder nur eine Behelfsversion … gefällt mir schon ziemlich gut, in meinem Fall ohne Einschränkungen wegen Cyrille oder der Wahl des Monk-Stückes.
Das sind jetzt aber auch Alben, die ich einfach durchhöre, ohne ständig aufzuspringen, weil irgendwas passiert oder Murray wieder ein unfassbar tolles Solo hinlegt. Es ist also auch kein Zufall, dass ich zu den – allesamt stark aufspielenden – Bläsern auf „Yonn-De“ gar nichts geschrieben habe, sondern hat genau damit zu tun, dass ich Murray um die Zeit herum schon nicht mehr ganz so super finde wie noch kurz davor (und später dann auch wieder – ich hab noch ein Dutzend Alben vor mir, das mit Dave Gisler kann ich grad auch nicht mehr finden, sonst wären’s vierzehn … hab aber grad Lust, noch ein paar dazu zu kaufen, „Sacred Ground“ vielleicht, Gwotet mit Sanders klingt auch toll, auch wenn’s mehr wegen letzterem als wegen Murray ist, und auf das Gwo-Ka-Albuum mit Taj Mahal bin ich auch neugierig – hast Du es übersprungen @vorgarten oder hab ich’s im Index vergessen? – hab von 2001 bis 2010 eine komplette Leerstelle).
Das Titelstück (Paso Doble klingt da schon plausibel, die Liner Notes sind bei Discogs leider nicht nachlesbar) und die direkt danach folgende Ballade „Dedication“ (von Drummond, dem wiederum „Mo‘ Bass (The Bulldog)“ von Murray gewidmet ist … mässig schmeichelhafter Übername) sind mal zwei meiner Highlights hier, nach dem eher verhaltenen Einstieg mit dem „Blues for Felix“. Und im folgenden „Suki Suki Now“ ist Cyrille schon ziemlich toll – da läuft eine im Latin-Groove bestens funktionierende Schlagzeug-Spur neben einer zweiten, die ständig alles sabotiert und stört. Den Druck eines Ralph Peterson oder Idris Muhammad baut er allerdings nie auf, was dem Quartett als ganzem schon eher nicht dienlich ist, denke ich … dennoch sorgt gerade Cyrille oft für Spannung, für Reibungen und Irritationen – wie @vorgarten schon schrieb gerade auch in „Ruben’s Theme Song“, das sonst ähnlich
gradlinig wie der Opener über die Bühne gehen könnte.

Ich mache mich endlich mal an den letzten Teil des Murray-Marathons – hab schon heute Osterferien, vielleicht reicht ja die Zeit bis Montag. „Like a Kiss That Never Ends“ habe ich inzwischen längst ordentlich angeschafft (der zitierte Post ist vom 25. Januar). Heute morgen flasht mich das ziemlich. Ein Blues – mit so guter Melodie, dass er auch ein Song ist – zum Einstieg, in dem das superkompakte Quartett sein Revier absteckt, dann der fast 13minütige Titeltrack, der den Hauptlinernotes eine „faux tango-habanera“ genannt wird (Pasodoble scheint übrigens einfach auf ein schnelleres Marschtempo bei Militärparaden zurückzugehen, wusste ich nicht) und in dem Murray ein wahnsinnig tolles Solo spielt. Mal kostet er die Melodie fast pur aus, dann wieder verziert er sie in sich fast überschlagenden Läufen und Girlanden, lässt sein Saxophon schnauben, dann wieder wirft er einen hohen, kreischenden Cry ein. John Hicks/Ray Drummond wirken auf mich unglaublich kompakt, während Cyrille hier der Freigeist ist, der unerwartete Akzente setzt, auch mal etwas ausschert, selbst in Drummonds toller Ballade „Dedication“, die hier an dritter Stelle folgt und in der Hicks ein zurückhaltendes, sehr starkes Solo spielt. Mit „Suki Suki Now“ folgt ein elegant fliessendes Stück, vielleicht eine Art Variation über das Titelthema, aber ohne den flashy Beat – und wieder mit einem phantastischen Leader, der seine ganze Palette an Sounds einbringt – und Hicks ist. Mit „Ruben’s Theme Song“ sind wir in Backbeat-Groove-Territorium, Cyrille setzt den Groove gemeinsam mit Drummond, zersetzt ihn aber auch ständig, findet Reibungen und setzt seltsame Akzente, während Murray darüber wieder schnaubt und faucht und innehält, um dann wieder loszulegen und am Ende noch eine kurze Solo-Kadenz nachzureichen – toll! „Mo‘ Bass (For the Bulldog)“ ist dann Drummonds zweites Stück hier und sein verdientes Feature – leider klingt sein Bass auf dem ganzen Album etwas flach, und so ist das auch hier. mit Monks „Let’s Cool One“ mit Murray an der Bassklarinette schliess das Programm dann, das auf mich ein wenig wie eine Tour durch die Neighbourhood wirkt. Wir sind bei der Grillparty im Hinterhof, cruisen mit dem BMX durch die leeren Strassen, liegen in der Sommerhitze im Park herum – und besuchen vielleicht auch die Parade durchs Viertel.

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