Antwort auf: 2022 & 2023 & 2024 & 2025: jazzgigs, -konzerte, -festivals

#12462623  | PERMALINK

gypsy-tail-wind
Moderator
Biomasse

Registriert seit: 25.01.2010

Beiträge: 68,342

Ich hatte ja eigentlich vor, für 2025 mal wieder einen neuen Faden zu starten … aber wenn ich nie was über die besuchten Konzerte schreibe … selber Schuld, und am Ende auch egal :-)

Also endlich mal nachgeholt:

„You Better Get Hit in Your Soul“ – The Music of Charles Mingus
Zürich, Lebewohlfabrik – 28. Januar 2025

Christoph Grab (ts, as), Bänz Oester (b), Paul Amereller (d)

Los ging das Jazzjahr Ende Januar bei einem Feierabendkonzert in der Lebewohlfabrik, einem kleinen Raum ganz in meiner Nähe, den ich eher selten besuche … was mit dem Programmschema (Di 18 Uhr, Do 20 Uhr) aber teils auch mit dem eher konservativen Programm zu tun hat. Ein paar schöne Abende erlebte ich aber z.B. mit Pierre Favre, und jetzt wieder mit einem Trio um Bänz Oester, einen der wichtigsten Bassisten im Land in den letzten Jahrzehnten. Im Trio Mingus spielen war ja etwas, was ich vor 30 Jahren auch gerne tat, aber natürlich nicht annähernd so gut … und nicht annähernd so gekonnt arrangiert: wenn z.B. in „Fables of Faubus“ die mehrstimmigen Passagen kamen, wechselte Oester fliessend aus der Begleitung in die Gegenmelodie und liess das Sax in die Trompetenstimme springen. Die drei haben die so frei wirkenden Mingus-Grooves wirklich drauf, Amereller spielte mit einem ähnlich offenen, eher kargen polyrhythmischen Stil, wie Dannie Richmond das über so viele Jahre tat. Das grösste Pensum zu bewältigen hatte aber Christoph Grab, den ich wie Amereller noch viel zu selten gehört habe. Er überzeugte mit am Tenorsax wie am Altsax völlig, spielte elegant und doch mit einer kernigen Härte, raute seinen Ton immer mal wieder auf … und glänzte mit einem tollen Flow an Ideen, der nur selten mal in routiniertes Playing fiel. Herz der Band, Motor, Seele, Sound-Kitt war aber Oester mit seinem lebendigen, immer geerdeten Bass. Wenn ich’s richtig notiert habe, spielten sie im ersten Set fast nur Musik aus dem Schlüsseljahr 1959 und ein wenig was von 1960/61, nämlich der Reihe nach „Better Git It In Your Soul“, „Boogie Stop Shuffle“, „Goodbye Pork Pie Hat“, „Peggy’s Blue Skylight“, „Reincarnation of a Love Bird“ und „Jelly Roll“. Im zweiten Set wurde dann nach zwei weiteren Klassikern das Repertoire der Siebziger miteinbezogen, es gab „Moanin'“, „Fables of Faubus“, „Duke Ellington’s Sound of Love“, „Remember Rockefeller in Attica“, „Nostalgia in Times Square“ und als Zugabe „Opus 3“.

Nicolas Masson Quartet
Zürich, Moods – 15. Februar 2025

Nicolas Masson (ss, ts), Colin Vallon (p), Patrice Moret (b), Lionel Friedli (d)

Den nächsten nächste Abend hatte ich im Hörthread kurz erwähnt, weil er mich doch etwas überrascht, zu einem neuen Hören, einer neuen Wahrnehmung dieser schon recht lange bestehenden Gruppe geführt hat, die ich allerdings zuvor nur von den beiden früheren Alben kannte. Neu, unerwartet, war für mich, wie laut dieses Quartett war, wie differenziert es aber dennoch musiziert (was nun keine Überraschung, ich hatte eher zarte Musik erwartet). Die Musik des Quartetts war präzise, manches wirkte etwas zurückgehalten (auch keine Überraschung, so höre ich auch die ECM-Alben, das neue vielleicht etwas weniger als „Travelers“), dennoch war das druckvoll. Masson spielte die meiste Zeit gar nicht richtig in das Mikrophon vor ihm (das muss ja beim Sax nicht vor dem Trichter sein, aber in der vertikalen Achse halt, nicht einen halben Meter daneben), dennoch hatte er nie Probleme, sich zu behaupten: die Kraft der Projektion. Vallon sorgte besonders im lebendigeren zweiten Set für ein paar Höhepunkte, aber vieles wirkte wie Bandmusik, es gab überhaupt wenige Soli, zwei oder drei von Vallon, mal ein Bass- oder oder ein Schlagzeugsolo. Und ob Massons Beiträge als Soli zu betrachten sind, würde ich eher bezweifeln. Klar wurde viel improvisiert, aber gemeinsam, in vorgegebenen Rahmen, mit Grooves, die gerne auch mal unregelmässig oder in ungleichen Aufteilungen funktionierten. Geerdet und zusammengehalten wurde das einmal mehr vom Mann am Bass, der oft so unscheinbar wirkt (ich habe ihn mit Vallon und mit Elina Duni und Vallon und einem weiteren tollen Drummer, Norbert Pfammatter, seit 2012 immer wieder live gehört), aber eben eine viel wichtigere Rolle einnimmt, als man auf den ersten Blick denken mag. Dabei ist er nicht Ruhepol oder Anker oder sonst eine blöde Metapher sondern in in enger, oft geradezu symbiotischer Verzahnung mit dem Klavier von Vallon und den Drums von Friedli (oder früher Samuel Rohrer und heute Julian Sartorius im Vallon-Trio bzw. eben Pfammatter im früheren Duni-Quartett). Was mir bei dem Konzert auch aufgellen ist (und klar: ich hörte das Quartett zum ersten Mal, sonst wüsste ich das wohl alles schon lange): wie dynamisch das Spiel der Gruppe war – und wie begrenzt daneben die Aufnahmen wirken – leider, aber auch naturgemäss, denn da wo das anders gehandhabt wird, etwa bei CIMP, macht das heimische Hören dann ja manchmal echt keine Freude mehr.

Colin Vallon Trio
Basel, Musée Tinguely, 28. März 2025 (nachmittags)
Basel, Bird’s Eye, 28. März 2025 (abends)
Jazzclub Uster, 14. März 2025

Colin Vallon (p), Patrice Moret (b), Julian Sartorius (d)

Und dann nach viel zu vielen Jahren endlich wieder das Colin Vallon Trio im Konzert – und Ende 2024 ja auch bereits mit neuem Album. In Basel gab es um 16 Uhr zwei Sets im Museum und dann um 20:30 Uhr noch zwei Jazzclub, in Uster dann einfach abends zwei Sets in geräumigem, entspannten Ambiente. In Basel gab es wohl Probleme mit dem Zoll, der die Techniker nicht durchlassen wollte, die dann bis kurz vor Beginn emsig beschäftigt waren.

Los ging es etwas verhalten, sehr lyrisch, Vallon spielte im ersten Set zweimal recht ausgiebig das kleine elektronische Keyboard, das er dabei hatte (es klingt wie eine Mischung aus Harmonium und Melodica – ich wüsste ja zu gerne, ob Eicher es bei den Sessions in Lugano weggesperrt hat). Vor allem zu Beginn, aber in den ersten beiden Sets griff er auch öfter ins Innere des Flügels, spielte direkt auf den Saiten oder präparierte diese mit unterschiedlichen Gegenständen). Diese ersten beiden Sets wirkten sehr lyrisch, fast etwas verzaubert. Und klar wurde Morets Stück „Tinguely“ gespielt, wenn die Band sich schon vor einer der Hauptattraktionen der Sammlung aufgestellt hatte (Grosse Méta-Maxi-Maxi-Utopia von 1987). Im zweiten Set drehte das Trio etwas auf, die Beats wurden zupackender, die Grooves sassen, es gab auch längere minimalistische Passagen, die nicht weit von The Necks entfern wirkten. Überhaupt ist hier das Konzept des gleichberechtigten Musizierens noch deutlicher umgesetzt, es gibt kaum Passagen, die sich aus dem Gesamtgeflecht lösen, kein eigentlichen Soli, eher kurze Passagen, in denen einer der drei sich kurz herauslöst, etwas neues setzt, ein paar Runden um die anderen herum dreht, um sich dann wieder zu ihnen zu gesellen.

Am Abend im kleinen Club (in einer Art Gewölbekeller in der einstigen Stadtmauer, etwas weiter ist auch das Musikinstrumentenmuseum eingerichtet, im alten Gefängnis im selben Gemäuer, ein Hotel gibt es da wohl auch noch) setzte das erste Set nahtlos an, inzwischen was das Trio warmgespielt, die Grooves wurden zielstrebig, eine gewisse Härte und sehr viel Druck war nun im Spiel, das Harmonium wurde fast ganz ignoriert. Im letzten Set geschah dann Unerwartetes: hier fand auch die lyrische Schiene vom Anfang im Museum wieder herein, aber ohne dass die Intensität deswegen nachgelassen hätte – im Gegenteil: jetzt war alles da, die ganze Palette, die das Trio davor in drei Sets aufgefächert hatte, wurde kondensiert und noch einmal geboten. Auch für eine phantastische Zugabe reichte es noch.

In Uster dann, letzten Freitag, sassen die Musiker mit einigen anderen Leuten um einen grossen Tisch herum und assen, als wir den Club betraten. Ganz anderes Ambiente, ein hoher, weiter Raum, alles sehr entspannt – aber auch das übliche ergraute Publikum, während das Bird’s Eye immer wieder überraschend viele junge Leute anzulocken vermag (der Eintritt ist für schweizer Verhältnisse bemerkenswert günstig, Mäzenatentum der Chemie-Industrier sorgt dafür). Was das Trio bot, wirkte auf mich ausgeglichener, irgendwo zwischen dem verhaltenen Einstieg und dem getriebenen Abschluss in Basel – und vielleicht liess sich dabei noch schöner das dicht verwobene Band-Spiel beobachten.

(Vallon-Fotos oben aus Uster, unten aus Basel)

Ein toller Einstiegt ins Jazz-Konzertjahr – das morgen mit Chico Freeman weitergeht…

--

"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #163: Neuentdeckungen aus dem Katalog von CTI Records (Teil 2), 13.5., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba