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Ich tu das mal hierhin. Woanders passt es noch weniger.
Kelela – In The Blue Light (2025)
Kelela ist Amerikanerin äthiopischer Herkunft, eigentlich eine Musikerin, die man im Bereich Alternative R&B im Grenzgebiet zu Electronica verorten könnte. Ihre beiden guten bis sehr guten Studioalben sind beim britischen Warp-Label (Aphex Twin, Autechre …) erschienen. Dies hier ist aber was anderes: Kelela trat im Mai 2024 an zwei aufeinander folgenden Abenden im ehrwürdigen New Yorker Blue Note Jazz Club auf, begleitet von einer (fast) unplugged Band, keyboards, Bass, drums, dazu 2 Background-Sängerinnen und eine Harfenistin. Im Programm völlig umarrangierte Songs von ihren eigenen Alben, ein Cover von Joni Mitchells Furry Sings The Blues und zwei Lieder von Betty Carter – letztere eins ihrer erklärten Vorbilder. Das kommt völlig anders daher als ihre ansonsten sehr beat-dominierten Aufnahmen, viel entspannter und organischer, manchmal zart und zerbrechlich, Liederabend und kein dance floor.
Ist Kelela eine Jazzsängerin? Sicher bewegt sie sich eher im Dreiländereck von Jazz, R&B und Pop. Aber das macht gar nichts, ist sogar gut so, denn diese jazz-ifizierten Popsongs plus 3 Covers wirken in diesem Setting absolut überzeugend, Kelela erfindet sich hier neu und wirkt als Sängerin in dieser intimen Athmosphäre absolut souverän, oft wirklich berührend. Und auch wenn die Band hier „nur“ begleitet, hat sie starke Präsenz und einen charakteristischen Sound. Außerdem ist das Album perfekt aufgenommen, fängt den Klangreichtum dieser Musik sehr schön ein, klingt wie eine Studioaufnahme. Tolles Album!
Gibt es nur digital oder als völlig überteuerte (und wohl ausverkaufte) Musikkassette. Dabei war die Musikkassette früher mal das Schmuddelkind unter den Tonträgern. In The Blue Light hätte was besseres verdient.
Hier eine kleine Promo-Doku. Ab ca. 5:45 Ausschnitte aus dem Live-Set:
Zwischen zwei Liedern verkündet Kelela nach einer etwas scherzhaft wirkenden Einleitung „Free Palestine!“, worauf das Publikum lebhaft applaudiert. Ich muss sagen, dass es mich irritiert, mit welcher Lässigkeit hier ein Thema, bei dem es um nicht weniger geht als um Sein oder Nichtsein, adressiert wird.
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)