Antwort auf: Creed Taylor

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redbeansandrice

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walter wanderley, when it was done (1968) / milton nascimento, courage (1968/69) / walter wanderley, moondreams (1969) / paul desmond, from the hot afternoon (1969) / antonio carlos jobim, tide (1970)
kleiner überblick über die ‚brasilianischen‘ alben der schlussphase von CTI @ A&M, das jobim-album hängt am ende in der luft, es hat kein CTI-label mehr, obwohl von taylor produziert, das in den gleichen sessions eingespielte STONE FLOWER erscheint dann schon in der 6000er serie.
was hier abgebildet wird, ist (für mich) sehr spannend. wanderley & jobim, die repäsentanten der bossa-welle, deren hitpotenzial bei verve scheinbar schon ausgeschöpft wurde, bekommen hier noch ein paar müde aufgüsse hin. wanderley schafft den sprung nicht zum psychdelischen musiker, der er mit seinen kippfiguren von kindermelodien mit billigen elektroniksounds zu den leicht irren hypnose-grooves hätte sein können, jobim spart sich für seine ambitionierte nächste phase auf. dazwischen hängt schon der wichtigste vertreter der nächsten ‚welle‘, eumir deodato, der nach fernstudium in berklee von creed taylor eingeredet bekommt, dass er arrangieren kann (debüt auf dem benson-album SHAPE OF THINGS TO COME). deodato bringt mit nascimento den nächsten kommenden superstar zu CTI, wobei taylor selbst zeuge von dessen entdeckung 1965 bei einem songfestival in brasilien wurde. taylor ist überhaupt gut in brasilien vernetzt, fährt oft hin, bekommt mit, wo die neuen talente sind. womit er scheinbar weniger anfangen kann, ist die zunehmende politisierung der musik, der in die usa fliehenden musiker*innen, die aufladung der musik als widerständiges kollektivgut mit den live übertragenen festivals, die nach dem ermächtigungsgesetz der militärs 1968 (mit der de facto aufhebung der bürgerrechte) kleine lichtblicke in den kommenden schwarzen 10 jahren setzen. deodato, purim & moreira, edu lobo, nascimento versuchen ihr glück in den usa, während die bossa verebbt, taylor lässt aber nur nascimento seine songs auf portugiesisch singen (nur zu dreien werden schnell englische texte geschrieben). airto moreira und flora purim wollen explizit jazz singen & spielen. edu lobo und seine frau wanda de sá bleiben dagegen fremdkörper. nascimento geht nach der erfahrung wieder zurück, zieht sich mit freunden für 6 monate unbeobachtet in ein strandhaus zurück und taucht mit dem kollektiven meisterwerk CLUBE DA ESQUINA wieder auf. wanderley, der auf MOONDREAMS auch einen song von egberto gismonti vorstellt (das titelstück ist eigentlich „o sonho“), verschwindet nach diesem A&M-nachhall von der szene. und für deodato fängt eine massgeschneiderte CTI-karriere an.
COURAGE ist ein meisterwerk, eine anthologie früher nascimento-songs, die meisten schon in brasilien für das debütalbum eingespielt (MILTON NASCIMENTO, später als TRAVESSIA wiederveröffentlicht, von 1967, von luiz eça arrangiert, der mit tamba 4 ja auch von creed taylor produziert wurde), jetzt mit schwellend-schwebenden streicher von deodato und einem jazz feel, für das ich im wesentlichen herbie hancock verantwortlich mache. die songs funktionieren anders als bossa nova, viel mehr harmonisch als rhythmisch, mit großer geste, tiefer melancholie und klarer stimme.
FROM THE HOT AFTERNOON, das zweiten von eigentlich drei verabredeten desmond-alben (irgendwas lief da nicht rund, obwohl beide wirklich schön sind), verwendet nascimento-songs instrumental, aufgefüllt mit weiteren von edu lobo, der dann selbst mitspielt und seine frau mitbringt. hier übernimmt sebesky die arrangements für die overdubbs, nachdem die rumpfband desmond – gitarrist (lobo oder ferreira) – ron carter – airto moreira das sehr bewegliche fundament aufgenommen haben. mit streichern wirkt desmond etwas verloren, auf SUMMERTIME gab es nur bläserarrangements, von denen konnte er sich besser absetzen.
deodato ist dann wieder beim jobim-album dabei, schreibt clevere neue akkorde für das girl from ipanema und lässt den rest müde zusammenfließen. hier werden die grenzen der creed-taylor-methoden sichtbar: er will neues material und hört, was sich musikalisch verändert, aber sich mit der kommerziellen brille nicht tiefer auf die brasilianischen entwicklungen einlassen. am ende sind für ihn nur deodateo und moreira brauchbar, die sich ohnehin von selbst sehr weit auf seine idee von musik einlassen.

ein super interessanter post! möchte man direkt alles nachhören, vielleicht komm ich nächste Woche dazu…

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