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Nun lüften sich schlagartig die letzten Fragen, denn mit Nennung von Platz 2, der wohl kaum zu erraten war, ist dann auch Platz 1 gesetzt, weil ich darüber in diesem Jahr des öfteren mal geschrieben habe.
2. Laughing Stock – Shelter
Das sechste Album eines norwegischen Trios, erschienen im Mai, und mir erstmals im September begegnet. Nicht nur Album, auch Band war mir bis dahin völlig fremd. Der Name macht neugierig. Und er ist selbstverständlich kein Zufall,
denn James March, der sämtliche Talk Talk Cover geschaffen hat, war auch hier tätig.
Talk Talk, obwohl es den Exkurs vermutlich nicht braucht, waren eine britische Band um Mark Hollis, den frühen 80ern mit Synthie Pop begannen, sich über Art Pop wirtschaftlich unabhängig machten, um mit ihrem vierten und fünften Album etwas völlig Eigenständiges zu schaffen. Nach der Auflösung der Band letzte Hollis mit einem Soloalbum noch einen drauf, indem er ein minimalistisches Werk veröffentlichte, das noch am ehesten im Jazz verwurzelt war. Die Band hatte vier bis fünf große AirPlay Hits die zum Teil heute noch laufen, ihr künstlerisches Andenken sind aber in der Tat mehr die abschließenden Werke „Spirit of Eden“ und „Laughing Stock“, mit denen Hollis ziemlich polarisierte.
Und hier knüpfen die Norweger an. Einige Zutaten nutzen sie ganz unverhohlen, wie das Schlagwerk, die wunderbaren Orgel Sounds, und die teilweise schroffen Gitarren. Am deutlichsten wird das in einer Nummer wie „Radio“, eine Abrechnung mit dem Formatradio, die für mich der traumhafte Höhepunkt des Albums ist. Überhaupt wird das Werk nach hinten raus immer stärker. Die Schlussnummer „The Flood beginnt beschrieben schroff, dann setzt eine wohltuende Akustikgitarre ein, es ertönt die Stimme von Tim Bowness, der ja als Gast mitwirkt, und das ganze mündet dann in einen Bowness-typischen atmosphärischen Klavierteil.
„Sticks and stones“ , eher Floyd-inspiriert enthält ein schönes Gilmore Solo, aber natürlich nicht von ihm selbst gespielt. „Waterfall“ zitiert sogar ein wenig „A Great Day for Freedom“.
„Shelter“ ist übrigens im Kontext des Albums eine Art Sekte, die langsam aber sicher die Identität zerstören und ersetzen möchte. Das ist thematisch gar nicht unklug umgesetzt. Und sinnigerweise entwickelt das Album im Laufe der Zeit eben auch einen gewissen Suchtfaktor, eine starke Bindung.
Also ein rundherum gelungenes Projekt, ohne dass wir es hier mit künstlerischen Genies zu tun haben. Es ist vielmehr solides Handwerk mit einem goldenen Händchen für Stimmungen. In den älteren Alben der Band habe ich diese Magie nicht annähernd wiedergefunden. Aber hier ist eben alles zur rechten Zeit am rechten Ort.
Wer sich jetzt natürlich nach dem ersten Durchlauf fragt, was bemächtigt denn den Close, das Teil in so einem starken Jahr auf Platz zwei zu packen, der ist dann doch auch zu ungeduldig. Denn über die Nahtstellen, die die Verbindung zum „Laughing Stock“-Original halten, wird man in die Platte zwangsläufig eintauchen. Außer, man mag das Original nicht. Soll es ja auch geben.
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