Antwort auf: ctte gibt Senf dazu – VÖ-Betrachtungen mit leichtem Prog-Überhang

Startseite Foren Die Tonträger: Aktuell und Antiquariat Aktuelle Platten ctte gibt Senf dazu – VÖ-Betrachtungen mit leichtem Prog-Überhang Antwort auf: ctte gibt Senf dazu – VÖ-Betrachtungen mit leichtem Prog-Überhang

#12426659  | PERMALINK

close-to-the-edge

Registriert seit: 27.11.2006

Beiträge: 29,125

5. Marco Glühmann – A Fragile Present

Ich habe mich jetzt doch ein bisschen unter Zeitdruck gesetzt, weil ich eigentlich heute fertig werden wollte. Jetzt hoffe ich, noch Platz 5 und 4 hinzubekommen, um dann morgen das Podium zu machen, und mein Voting für die Jahres-Top 10 nicht in letzter Sekunde machen zu müssen. Denn da ist ja in 53 Stunden Abgabeschluss.

Kommen wir nun zur Deutschen Prog-Rock-Küche in Freising. Dort gab es in der Jahresmitte zeitnah zwei Live Alben von RPWL und Sylvan, aber nichts Neues.
Kalle Wallner nahm ein weiteres Soloalbum, diesmal nicht unter dem Namen Blind Ego auf, welches man eher als traditionelles Rockalbum wahrnehmen würde. Aber Wallner war auch hier ran beteiligt:

Die erste Solo Platte von Marco Glühmann, ist nämlich eine Gemeinschaftsproduktion der beiden deutschen Flaggschiffe dieses Jahres. Jogi Lang war federführender Produzent, spielte aber nebst weiteren Musikern von Sylvan und RPWL auch selbst mit. Eingespielt wurde selbstverständlich auch in Freising, und prominente Gäste wie Steve Rothery und Billy Sherwood gaben sich auch die Klinke in die Hand.

Ich habe mich neulich mal daran erinnert, dass ich nach dem großartigen „Posthumous Silence“, mit dem ich Sylvan vor langer Zeit kennengelernt hatte, mal der Meinung war, der Glühmann sei mit seiner Stimme ein bisschen eindimensional unterwegs. Bei weiteren Alben stellte sich das dann allerdings als gewaltiger Irrtum heraus. Beim letzten Sylvan-Album, mein Jahresalbum ’22 zog er Register die ich überhaupt noch nicht kannte. Und genau das findet hier auch statt.

Denn eines ist ja klar, wenn ich mit einer Band so viele Alben aufgenommen habe, und mache jetzt mal was eigenes, und das auch noch weitgehend mit den gleichen Leuten, dann muss ich mir natürlich etwas einfallen lassen, damit man meine Platte nicht als Outtake Sammlung meiner Hausband wahrnimmt.
Dazu zwei wichtige Vorgaben. Kein zusammenhängendes Konzept, dass die Songs vorher in ein Korsett zwingen könnte, und relativ kurze und abwechslungsreiche Songs.

Und eben einen Produzenten, der trotzdem vielen bekannten Gesichtern sehr darauf achtet, ein buntes und variantenreiches Album zu schaffen. Übrigens so bunt wie das Cover.

Die meisten Songs gehen schnell und gut ins Ohr, Opener und Schlussnummer sind extrem eingängig, längere Instrumentalparts bleiben völlig aus, und die Grundausrichtung ist viel weniger elegisch als rockig.
Natürlich kann Glühmann seine Herkunft nicht verleugnen. So toll er variiert und den unterschiedliche Rollen schlüpft, ist seine Stimme doch zu charismatisch als dass man sie nur schwer erkennen könnte. Und natürlich kann man auch stilistisch hier nicht alles über Bord werfen. Aber für eine so wunderschöne Ballade wie „Live is Much too Short“ muss man im Backatalog von Sylvan schon sehr lange suchen. Deshalb haben die 12 Songs für sich genommen schon alle etwas eigenständiges. Mal mehr, mal weniger.

Die Produktion ist natürlich gestochen, gelegentlich vielleicht sogar eine Idee zu süßlich, aber auf Länge sehr bekömmlich.
Allerdings haben sie beim Haus-Label ein bösartiges Problem geschaffen. Man wollte offenbar keine Doppel-Vinyl, fand aber das 56 Minuten für eine Scheibe zu viel sind. Das mag ja sein, aber leider verfiel man auf die wenig glückliche Idee einfach zwei Songs wegzulassen. Der Vinylkäufer bekommt also nicht das ganze Album. Einen Abzug gibt es dafür aber nicht, denn das war ganz sicher nicht die Idee von Glühmann selbst.

Zum Schluss die Frage, ist das jetzt eigentlich Neoprock, oder eine mehr oder weniger normale Rockpop-Platte? Nun, das außerordentlich melodisch, prägnant und songdienlich zugeht, ist die Frage zumindest berechtigt. Aber beantworten soll sie bitte jemand anders.

Noch was, die Schlussnummer „My Eyes are Wide Open“ wäre in einer anderen Welt, und vielleicht mit einem Text der irgendwas mit Weihnachten zu tun hat, wahrscheinlich ein Superhit geworden. Jedenfalls wenn Ed Sheeran oder Mariah Carey die Nummer gesungen hätten, was dem Song freilich nicht so gut getan hätte.

--