Antwort auf: Das Schlagzeug im Jazz

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friedrich

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Hallo und Euch allen ein Frohes Neues Jahr!

Ich tu das mal hier rein. Paul Motian hat keinen eigenen Thread, aber er ist nicht nur leader dieses Albums, er hat auch die meisten Stücke komponiert und vor allem: durch sein sehr individualistisches Schlagzeugspiel trägt diese Musik deutlich seine Handschrift.

Paul Motian – Time And Time Again – Bill Frisell – Joe Lovano (2007)

Ein Album, das ich letztes oder vorletztes Jahr gekauft habe, weil ich ein mehr oder weniger aktuelles Studio-Album von Motian / Frisell / Lovano haben wollte. Live At The Village Vanguard von 1995 hatte ich schon. Letzteres ist ein Album, das mich manchmal total faszinieren und in seinen Bann ziehen kann, manchmal denke ich aber auch: „Was ist das denn für ein konturloses Gewaber?“ und wollte es sogar schon mal abstoßen. Aber ich habe es nie getan.

Mit Time And Time Again ist es nicht anders. Erwartet man lange Melodiebögen oder gar einen durchgehenden Swing, ist man hier an der falschen Adresse. Bei dieser Musik muss man sich auf eine ganz andere Perspektive einlassen. Mit meinem lauten Nachdenken über Musik, die aus Wolken besteht, die in der Luft hängen, sich ausbreiten und schließlich verflüchtigen, lag ich gar nicht mal so daneben, glaube ich. Auch wenn das nur ein Annäherungsversuch war. Aber andere können das noch besser ausdrücken. Ich erlaube mir mal zwei Zitate:

„Time And Time Again is jazz in zero gravity: Down is up, the floor is the ceiling, and perception plays tricks at almost every turn. It doesn’t swing, but that’s the point!“ (J. Hunter auf AllAboutJazz)

„Sie haben Zeit. Sehr viel Zeit. Mehr Zeit, als sich Musiker gewöhnlich für jeden einzelnen Ton gönnen. Doch diese Langsamkeit zahlt sich aus. Wunderbar duftige Klanggespinste entstehen so, fein geknüpfte Tonverbindungen, so transparent wie Spinnennetze gewoben und gleichzeitig so strukturiert, dass der Hörer nie die Orientierung verliert.“ (Werner Stiefele in Rondo)

Für mich bleibt diese Musik aber auch irgendwie unbestimmt. Sie hat ihre eigenen Kriterien und ist nicht leicht zu fassen. Das macht es dem Hörer nicht einfach, bleibt irritierend, herausfordernd und interessant.

Time And Time Again bei ECM.

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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)