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vorgarten
friedrich
02.09. – Keith Jarrett erkenne ich hier an den ersten paar Takten, noch bevor er anfängt mitzusingen. Jarrett und Haden fast im Duo, der von mir sehr geschätzte Paul Motian hätte hier eigentlich auch konsequent einfach die Hände in den Schoß legen können. Wunderschön. Braucht man eigentlich nicht viel dazu zu sagen. Mich verblüfft, das KJ hier eigentlich genauso klingt wie auch 20-30 Jahre später.das finde ich interessant. du kannst ihn vor dem mitsingen eigentlich nur an den arpeggien erkannt haben, die er aber 20-30 jahre später nicht mehr eingesetzt hat. hier sind noch deutliche gospel-pop-einflüsse zu hören, finde ich, die aufnahme klingt auch dreckiger. aber dass paul motian nicht nur swingen, sondern manchmal auch einfach schweben kann, ist doch bekannt?
Rückfahrt über den Brenner zurück nach Berlin.
Arpeggio gehört nicht zu meinem aktiven Wortschatz und ich hätte es vielleicht anders beschrieben: Diese perlenden Läufe, die feinst nuancierten Anschläge, Verzögerungen und Verdichtungen, mit denen Keith Jarrett Spannung, Dramatik und – ja – Sentimentalität erzeugt? Vielleicht habe ich Keith Jarrett tatsächlich aber auch erst am Mitsingen erkannt und gedacht: „Na, das war ja klar!“ Was mir sonst noch auffällt: Hier fasst Keith Jarrett sich ungewöhnlich kurz. Es ist (später) ja keineswegs ungewöhnlich gewesen, dass er einen Standard auf 10-15 Minuten oder sogar mehr dehnt.
Ich hatte im Jazz in den 90ern-Thread mal geschrieben: Paul Motian ist ein lyrischer drummer, oder? Er streichelt das Schlagzeug mehr als dass er trommelt. Ich war mir nicht sicher, ob das eine originelle oder total triviale Feststellung war. Aber es hat sowieso niemand darauf reagiert.
Vielleicht hatte ich bei dieser Aufnahme mit Keith Jarrett nicht so genau hingehört. War nicht zuhause und hörte die Musik im Berggasthof neben dem Ofen sitzend, nippte am Portwein und kraulte gelegentlich die Katze, die neben mir auf der Bank lag. Ich hatte den Eindruck, hier geht Motian noch einen Schritt weiter und – äh … – haucht das Schlagzeug eigentlich nur noch an. Beim wiederholten Hören fällt er mir aber tatsächlich doch etwas mehr auf, wenngleich er auch hier sehr zurückhaltend agiert.
Ergänzung: Und noch mal herzlichen Dank für diesen sowohl konzeptionell starken als auch sehr schönen und ausgezeichnet moderierten Jahresend-BFT!
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)