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zojiIch meinte gar nicht die Bande im allgemeinen, sondern konkret die drei halbstarken Galgenvögel die ich aus meiner Schule vor Augen habe und von denen mich einer mal unvermittelt ins Gebüsch gestoßen hat. Diabolisch wie ich bin wünsche ich denen so ein mittelgutes Leben.
Meine persönliche AC/DC-Story (habe ich wohl im entsprechenden Thread schon einmal zum besten gegeben, aber was soll´s):
Kurz vor meinem zwölften Geburtstag spielte ich auf der sonnenbeschienenen Auslegeware meines Kinderzimmers mit Matchbox oder Lego oder beidem. Im von meinen Eltern gemopstem schäbigen Radio-Rekorder lief die samstägliche Hitparade. Ich hörte also zwar schon gerne Musik, vornehmlich discoartiges und aus unerfindlichen Gründen, weil ohne Vorbild im Umfeld, Swing, aber das hatte noch keine identitätsstiftende Wirkung, Namen, Hintergründe, etc. interessierten mich nicht. Dann kündigte der Moderator (Wolf-Dieter Stubel?) eine Band an und die ersten Töne setzten ein. Da schaute ich schon einmal vom Spielzeug auf in Richtung Radio. Dann setzte der Gesang ein, und meine Augen weiteten sich. Und beim Refrain fiel mir dann die Kinnlade herunter. (Na gut, für das Minenspiel kann ich mich nicht mehr verbürgen, aber ich weiß noch, dass es wie geschildert meinen Empfindungen entsprach.) Das war Touch Too Much, so etwas hatte ich noch nie gehört, und danach war nichts mehr, wie es vorher war. Ich begann mich aktiv um Musik zu kümmern, topseriöse Musikmagazine wie Bravo oder Popcorn zu lesen, die jahrelang liebevoll gepflegte HSV-Kutte wurde in den nächsten Monaten durch eine mit drauf geschmierten Bandnamen ersetzt – von denen ich die meisten noch nie gehört hatte, nur der Berichterstattung entnahm, dass ich sie wohl cool finden würde – und Lego und Matchbox verloren rasant an Wert. Ein paar Jahre später wiederum begann ich dann für eine ungefähre Dekade AC/DC aus Imagegründen als prollig zu schmähen und nur noch heimlich gut zu finden (file under ABBA), aber das änderte nichts daran, dass ich in den vier Minuten vorm Radio vom Kind zum Jugendlichen wurde. Bis Highway To Hell, nee, eigentlich sogar bis Back In Black finde ich sie großartig, und erst danach nur noch ziemlich gut. Oder eher okay, jedenfalls habe ich nach Back In Black nur noch ein Album, und das ist das einzige, welches ich vergleichsweise leichten Herzens aufgeben könnte.
Ich finde das noch nicht einmal so abseits des Threadthemas. Hier am Rande Hamburgs bin ich ja nicht gleich in einen Topf John Lee Hooker und Muddy Waters gefallen. Abgesehen von dem Blues-Brothers-Film, bei dem mir die Musik anfangs eigentlich egal war, ich wusste noch nicht einmal, dass James Brown, Aretha Franklin und Ray Charles Musiker sind, ich hielt die einfach für Schauspieler, habe ich vermutlich bei AC/DC ungefähr zeitgleich mit Night Prowler und The Jack das erste Mal Blues gehört, ohne zu wissen, dass es Blues gibt und was das überhaupt sein soll. Von AC/DC bin ich in der Musikgeschichte kontinuierlich zurück gegangen und dann irgendwann bei den Originalen gelandet. Insofern waren die für mich auch eine Zwischenstufe auf dem Weg dorthin. Bzw. dann ja sogar eher Ausgangspunkt.
Übrigens habe ich bis heute die merkwürdige Angewohnheit behalten, wenn ich Musik das erste Mal höre und etwas ganz unerhörtes, für mich herausragendes passiert, meinen Blick auf die Speaker zu richten. Als würde ich erwarten, dass sich dort irgendeine Art von Erkenntnis physisch manifestiert. Spoiler: Tut sie nie!
Sehr schöne Geschichte, @zoji! Habe mich beim Lesen prächtig amüsiert.
Matchbox und Lego sind auch ein Teil meiner Kindheit. Mein Interesse an Popmuaik erwachte aber erst später, so mit 13-14 und war etwas anders. Und ich war auch schon recht bald ein aus heutiger Sicht snobistischer Gymnasiasten-Schnösel, für den AC/DC überhaupt nicht gesellschaftsfähig waren. Vielleicht war auch etwas uneingestandene Angst vor der ungehemmten virilen Wucht dieser Musik dabei. Meine AC/DC-Initiation fand daher erst viel später und unter ganz anderen Umständen statt. Aber das erzähle ich vielleicht später mal.
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)