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„(…) etwas ist da, offenkundig und eigensinnig (man hört nur es) was jenseits (oder diesseits) der Bedeutung der Worte, ihrer Form (der Litanei), der Koloratur und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel und aus der Tiefe der slawischen Sprache einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“
So lautet das Zitat des französischen Philosophen Roland Barthes aus seinem Aufsatz Die Rauhheit der Stimme in voller Länge. Ich hatte dieses Zitat in verkürzter Form in englischer Übersetzung in den liner Notes einer Ben Webster Re-Issue gefunden und im Don Byas-Thread wiederum ins Deutsche zu übersetzen versucht. Mit entsprechendem Ergebnis. Aber es gehört hier hin.
Die deutschsprachige Veröffentlichung findet man in einem vergriffenen Bändchen des Merve-Verlags (Was singt mir, der ich höre in meinem Körper das Lied – Kommafehler (?) inklusive), das ich mir antiquarisch und nicht ganz billig besorgt habe. Barthes schreibt ziemlich verschwurbelt, manchmal schwer verständlich, aber manchmal auch frappierend auf den Punkt gebracht, dass es einem Augen und Ohren öffnet. Das allein war den Kaufpreis schon wert! Sein Thema ist eigentlich klassische Musik, Lieder von Schubert und Schumann, in diesem Fall russische Bass-Stimmen, aber man kann das auch auf andere Musik übertragen. Bei Ben Webster passt es!
Ben Webster – The Quintessence New York – Los Angeles 1940-1962
Der Titel liest sich so, als sei das eine die gesamte Karriere von Ben Webster zusammenfassende Compilation. Das stimmt aber nicht ganz, da Ben Webster auch vor und nach der genannten Zeitspanne bedeutende Aufnahmen gemacht hat. Außerdem sind unter den 26 Aufnahmen auf 2 CDs gerade mal vier aus den 40ern, die hier etwas wie Fremdkörper wirken. Danach gibt es eine Lücke von 9 Jahren bis 1953. Aber mal ganz von diesen kleinen Schwachstellen abgesehen, sind die übrigen 22 Aufnahmen wirklich alle oberste Schublade und zeichnen ein sehr schönes Bild dieser Zeitspanne. Und vor allem: Wo findet man sonst all diese Perlen von verschiedenen Alben, die Ben Webster nicht nur unter eigenem Namen, sondern auch unter anderen leadern (Illinois Jacquet, Red Norvo, Benny Carter, Michel Legrand …), mit verschiedenen sidemen (Coleman Hawkins, Gerry Mulligan, Harry Edison …) oder den Streichern von Ralph Burns aufgenommen hat? Auf der ersten CD gibt es auch ein paar zupackende Stücke, auf der zweiten CD vor allem Balladen, Blues und auch ein Gesangstück mit Jimmy Witherspoon.
Der Begriff Quintessence ist sicher etwas hoch gegriffen, aber das ist ein toller Querschnitt mindestens der Jahre 1953-62, der sich auf jeden Fall lohnt.
Entgegengesetzte Enden des gleichen Spektrums:
The Kid And The Brute (1954, mit Illinois Jacquet, Chano Pozo u.a.)
How Long Has This Been Going On (1962, mit Hank Jones u.a.)
Zu verdanken habe ich die Entdeckung dieser Compilation @gypsy-tail-wind, der hier vor kurzem auf die Re-Issue der Duke Ellington Blanton-Webster-Band auf dem französischen Frémeaux & Associés Label hinwies. Die werden mit ihren Veröffentlichungen niemals einen Preis für das Coverdesign gewinnen und auch nicht reich werden. Zusammenstellung und Klang sind aber vorbildlich.
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)