Antwort auf: Ben Webster – The Brute and the Beautiful

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friedrich

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Und das gehört auch hier hinein:

Ben Webster Johnny Hodges Sextet – The Complete 1960 Cellar Door Session (2011)

Dieses Album hatten wir hier schon mal erwähnt. Ich hatte auf einer anderen Zusammenstellung bereits 6 der 12 Tracks der Cellar Door Session gehabt, wo sie aber falsche Titel trugen. @gypsy-tail-wind hatte das dankenswerterweise aufgeklärt und auf eine Mosaic-Box verwiesen, wo alle 12 Stücke komplett und korrekt benannt enthalten sind.

Was für ein Glücksfall, dass Johnny Hodges und Ben Webster (plus Lou Levy (p), Herb Ellis (g), Wilfred Middlerooks(b) und Gus Johnson (dr)) an diesem Novembertag Gelegenheit hatten, in diesem Jazzclub in San Francisco, aber ohne Publikum aufzunehmen! Die Atmosphäre ist offenbar entspannt und alle sind hochkonzentriert bei der Sache. Mit einer Ausnahme nur Kompositionen von Hodges /Webster, wobei es sich dabei eigentlich nur um ein paar Riffs handelt, die als Ausgangspunkt für Improvisationen dienen. Das lässt ein zielloses Gedudel befürchten, aber die Band scheint so gut eingespielt zu sein, dass sie wirkt wie Tänzer, die einander in ihren Bewegungen vertraut sind, und immer wieder zusammenfinden. Ein sehr schönes Verhältnis von Planung und Spontanität, sehr gelassen, sehr lebhaft und gleichzeitig sehr klar und stimmig. Johnny Hodges mit seinem geschmeidigen und eleganten Ton einerseits, Ben Webster kehlig und rau andererseits kontrastieren sehr schön miteinander, dazwischen immer wieder Herb Ellis mit einem bluesigen Solo. Das wirkt aber überhaupt nicht sensationell – im Gegenteil – das klingt völlig unangestrengt, so als füge es sich wie von selbst. Gerade das ist der Reiz daran.

Es ist zwar kein Produzent angegeben, vermutlich hat aber Norman Granz die Aufnahmen für Verve gemacht, sie aber warum auch immer damals nicht veröffentlicht. Sie wurden – zumindest teilweise – erst im Nachlass von Ben Webster entdeckt.

Auf der CD außerdem noch 5 Aufnahmen aus Los Angeles von Anfang 1961 im Oktett mit Arrangements von Jimmy Hamilton (der Ellington-Klarinettist). Ganz anderes Konzept, nicht ganz so stark, aber wenn man da so eine zart schimmernde Perle wie Val’s Lament finden kann, nehme ich das gerne mit.

Sehr schönes Album, auch grafisch ansprechend gestaltet, mit liner notes, Fotos usw. usf., das auf einem obskuren Label namens Solar Records erschien, das wohl hier und da Jazz-Schätze ausgrub, über das man aber ansonsten fast nichts erfahren kann. Wer macht sowas, wer kauft (außer mir) so eine Obskurität und wie finanziert sich das? Zumal ich die CD auch noch gebraucht gekauft habe. Der Vorbesitzer hinterließ in der Hülle einen Ausschnitt aus dem Jazzpodium September 2012 mit einer Rezi des Albums. Mit Ausnahme der fälschlichen Verortung auch der zweiten Session in SFO statt in LA würde ich das auch unterschreiben.

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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)