Antwort auf: David Murray

#12374661  | PERMALINK

gypsy-tail-wind
Moderator
Biomasse

Registriert seit: 25.01.2010

Beiträge: 68,127

Alen Lowe and the Jack Purvis Memorial Orchestra feat. David Murray, Doc Cheatham, Loren Schoenberg – Mental Strain at Dawn: A Modern Portrait of Louis Armstrong. Recorded Live at the Knitting Factory | Ein Sideman-Gig von David Murray mit einer Band, die Allen Lowe 1992 auf die Beine gestellt hatte: Doc Cheatham (t), David Murray (ts, bcl), Loren Schoenberg (ts), Allen Lowe (as), Paul Austerlitz (cl, bcl), Robert Rumbolz (t), John Rapson (tb), Jeff Fuller (b), Ray Kaczynski (d). Es gibt neue, oft ziemlich wilde Arrangement von Stücken wie „La Cucaracha“ (der Album-Opener), „Chinatown, My Chinatown“, „Mamanita“ (Jelly Roll Morton), „Black and Blue“ (Fats Waller) und natürlich von Jack Purvis, von dessen einen Stück der Albumtitel stammt, dazu kommt von ihm noch „Copyin‘ Louis“. Zwei Lowe-Originals, „Dream Sequence“ (eine Überlagerung von „Wrap Your Troubles in Dreams“ und „If Dreams Come True“ (mit Bassklarinettenduett) und „When Jack Ruby Met Joe Glaser“ (und wenn schon im ersten Stück eine Idee umgesetzt ist, die auch Mingus hatte, schreibt Morgenstern zum zweiten Stück, dass ihn der Einstieg an diesen erinnere) stehen in der zweiten Hälfte der acht Stücke, die am 19. April 1992 live in der Knitting Factory mitgeschnitten wurden. Dazu kommen dann noch zwei weitere, die am 17. Oktober 1992 in New Haven, CT, aufgenommen wurden – mit Rumbolz, Rapson, Austerlitz, Lowe (ts), Peter Askim (b) und Kaczynski gibt es Lowes „Yodel Blues“ und als Closer „Dinah“ im Duett von Lowe mit Askim.

Dan Morgenstern war bei den Gigs (es gab auch noch eine Woche im Sweet Basil, die anscheinend noch besser war, aber da hatte man schon Aufnahmen gemacht) hat die Liner Notes geschrieben, nachdem er die Band live gehört hatte, aber Lowe trägt selbst einen kurzen Text fürs Booklet bei, der die Musik einordnet. Ich tippe das rasch ab, lasse nur den Dankes-Absatz, der am Ende noch in Klammern steht, weg:

Allen Lowe
This tribute to Louis Armstrong was, in a sense, political as well as musical. Certain musicians of late (and their little brothers) seem to think they own „the tradition.“ Their definitions of history and culture are ridiculously narrow, boringly middle-class and, ironically, very Eurocentric. If it doesn’t fit into a middlebrow notion of concert hall and academic respectability, it is, according to them, „wrong.“

Their notion in 1992 is that if the music they hear does not reflect an absorption of its historical predecessor (which is, in their view, the bebop idiom), it is invalid. Well, we can turn that argument on its head: since „their“ music does not reflect an absorption of an entire generation of „their“ predecessors, it too must be invalid. Which leaves us with a large empty hole in jazz since, say, 1960.

And in that case, Charlie Parker must have been „wrong,“ since I’m willing to bet he did not have a mastery of the music of Jelly Roll Morton. I’d be surprised if Duke Jordan could play stride. And Miles could not have played like Red Allen, probably. Or Bubber Miley.

Now, of course, this is all a little ridiculous, you’ll say. Bird and Miles, you will tell me, are part of the a continuum that includes Morton and Allen.

Exactly. And I hear the work of those predecessors in their music, just as I hear it in Anthony Davis’s music and Anthony Braxton’s. And if, god forbid, sometimes I don’t hear it, who the hell cares? I won’t quote Duke Ellington, because is there anyone who doesn’t remember what he said about the two kinds of music?

At any rate, Doc Cheatham knows that the music itself is the most important thing. Which brings us to the musical portion of our program. I believe collaborations of this kind demonstrate that good music is what brings musicians together, not politically correct music a la the aforementioned. My hope is that it makes a point at the same time as it celebrates Louis Armstrong, who is probably the only musician whose music I listen to at least once every week of the year.

Die Musik also? Die macht sehr Spass – das ist lebendige Traditionspflege, in der sich die Stimmen vermischen: der unverwechselbare Sound von Doc Cheatham schlängelt sich durch die manchmal recht dichten Ensembles (gute Idee, auf ein Klavier – oder Gitarre, Banjo – zu verzichten), die beiden Tenorsaxophone umspielen sich, der eine natürlich etwas wilder und mit dem einen oder anderen Ausflug in freiere Gefilde („David goes upstairs“ schreibt Morgenstern lakonisch über „Black and Blue“, aber er tut das auch anderswo). Schoenberg spielt eher ein von Lester Young geprägtes Saxophon, aber ist mit freier Musik gleichfalls vertraut. Und wenn Rumbolz im Titelstück den Lead und die Breaks übernimmt, klingt das ebenfalls phantastisch. Lowe selbst ist nach dem Opener auch in „Mamanita“ (hier kriegt man Jelly Rolls „Spanish tinge“) ausgiebig zu hören – er griff hier zum Altsax (das er später öfter spielte), weil er ja schon zwei Gäste am Tenor dabei hatte. Dass das – bis auf die zwei Stücke am Ende – live aufgenommen wurde, ist wohl die richtige Entscheidung, denn solche Musik braucht Atmosphäre und Interaktion mit einem Publikum, und das funktioniert ziemlich gut. Wenn Murray hier – selbstverständlich – der „outlier“ ist, dann ist Cheatham das ebenso.

Die Arrangements von Lowe zeigen, wie viel Potential eben auch schon im frühen Jazz steckte: Polyphones, kontrapunktisches, Linien, aus denen akkordische Gebilde entstehen – das ist alles von Anfang an dabei, und Lowe holt es in die damalige Gegenwart, als Kontrapunkt zur steifen akademischen Junglöwen-Traditionspflege (auf deren Seite neben Wynton Marsalis auch Murrays alter Gefährte Stanley Crouch zu finden war). Hier springen wir von Armstrong, Morton oder Purvis zu Ornette (und Murray) und zurück, oft in wenigen Takten, und mit einer Mühelosigkeit, die keine Bruchlininen entstehen lässt – im Gegenteil, das wirkt alles ziemlich aus einem Guss und sehr stringent.

--

"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba