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gypsy-tail-wind
gypsy-tail-wind Ron Miles – Quiver | Ron Miles (t), Bill Frisell (g), Brian Blade (d) – ich hatte nach dem mässig überzeugenden Album von Ambrose Akinmusire in derselben Besetzung etwas die Furcht, dass mich das hier auch nicht packen würde … das war aber unbegründet – schon eher stille Musik, die aber oft einen Zauber entfaltet, auch weil die drei wirklich gut aufeinander abgestimmt sind. Blade ist immer wieder sehr toll und trägt zumindest vom Eindruck vom gestrigen Wiederhören her schon einiges dazu bei, dass das Album nicht in Wohlklang und Nettigkeit dahindümpelt (was mein momentanes Fazit zum Akinmusire Trio ist). Die Aufnahmen sind in Denver, CO, entstanden, im September 2011 in den Mighty Fine Productions und live im Dazzle Jazz Club.
Um dieses Album kreise ich immer noch … so richtig warm will ich damit nicht werden, obwohl es wirklich schöne Sachen zu hören gibt hier. Es dauert über eine Stunde und braucht für meine Ohren geraume Zeit, um in Fahrt zu kommen. Die fehlenden Bassfrequenzen mögen Frisell und Blade nur teils füllen, es bleibt da eine Art Lücke, die der Musik Leichtigkeit gibt, aber vielleicht auch eine gewisse Unverbindlichkeit? Beim Hören gestern Abend dachte ich zwischendurch mal an das Tiny Bell Trio von Dave Douglas (mit Brad Shepik und Jim Black), das mit der gleichen Besetzung doch recht anders funktioniert. Blade spielt halt seine ureigenen Grooves, Frisell ist Frisell – während bei Douglas‘ Gruppe auch tightere, gemeinsam angesteuerte Grooves und folkloristische Elemente zu hören sind, die hier fehlen – zu Gunsten eine grösseren Eleganz würde ich sagen? Wobei Miles auf Blues und Country zurückgreift, während Douglas eher etwas in Richtung Balkan oder Europa im allgemeinen schielt. Und es mir so vorkommt, as würde bei Miles alles sublimiert, durch seine eigene Brille betrachtet wird – und dafür hat er sich schon kongeniale Leute geholt mit Frisell und Blade. Miles spielt gerne und viel im tieferen Register der Trompete – mit singendem, warmem Ton. Da trifft er sich z.B. in „Mr. Kevin“ wunderbar mit der Gitarre (in den langen Liner Notes von Chip Stern wird eine Episode berichtet, in der Bassist Ben Allison bei Freddie Hubbard zu Besuch war und diesem „Heaven“, das Duo-Album von Miles/Frisell, vorspielte: „He talked about that lower register that Ron favors and he said, ‚I wish I could do that,‘ and explained how hard that was to do on the horn, and the fact that he got it, was some sort of compliment coming from a trumpet innovator of his stature and magnitude“). Das Programm hier ist genauer betrachtet sehr breit: es gibt ein paar alte Stücke, „There Ain’t No Sweet Man That’s Worth the Salt of My Tears“ von Fred Fisher und „Doin‘ the Voom Voom“ von Duke Ellington, in dem die drei quasi zur Mini-Big-Band werden (das wäre dann mein unbedingter Anspieltipp für @friedrich – geht ev. mit Streaming-Abo, in der Tube ist von Enja ja nur sehr wenig). Zudem ist „Days of Wine and Roses“ von Henry Mancini zu hören, und dazu kommen sechs Originals von Miles, die ihrerseits einen breiten Horizont abstecken. Da springt die Musik schon mal von old-timey Beats zu den Retro-Projekten von Lester Bowie, während Frisell auch mal Charlie Christian channelt. In „Just Married“ gibt es einen folksy Romp mit rollenden Beats von Blade, jumpender Gitarre („Big Buckle Elvis“ lautete die Spielanweisung in Frisells Noten gemäss den Liner Notes) und schönen kleinen „inflections“ von Miles. Der Closer „Guest of Honor“ ist zugleich ein Stück für den Sohn, der Honor heisst, wie auch eine Ragtime-Nummer, die an Scott Joplin erinnert, und an seine gleichnamige Oper, die sich wiederum auf den Besuch von Booker T. Washington im Weissen Haus bei Teddy Roosevelt bezieht: „And so while we tend to think of Joplin writing upbeat music such as ‚Maple Leaf Rag,‘ here he was writing political operas as far back as 1903“ (Zitat von Miles in den Liner Notes). Das Stück direkt davor wiederum, „Rudy-Go-Round“, klingt nach Ornette Coleman, asymmetrisch und mit kreisenden, tanzenden Linien. Die drei klingen alle phantastisch (Aufnahme und Mix: Colin Bricker, produziert hat Hans Wendl – ein Name, der mir hier in der ganzen Enja-Strecke zum ersten Mal begegnet), das ist halt wirklich Musik, bei der man hinsitzen und genau hören muss, um ihren Reichtum zu erkennen – sonst plätschert sie scheinbar belanglos dahin.
Nachdem ich den „Americana“-Frisell (der späten 90er bis „All Hat“) finde ich diese Scheibe sehr ansprechend. Es gibt noch mehr Scheiben von Miles in dieser Besetzung. Danke für die ausführliche Besprechung und die Erinnerung daran, daß ich mich mit diesen auch mal beschäftigen wollte.
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