Antwort auf: David Murray

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gypsy-tail-wind
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Schlussspurt für den Moment – Ming’s Samba erschien 1989 bei Portrait, einem Sublabel von Columbia-Records – wie „Virgin Beauty“ von Ornette Coleman, und dort hatte ich zum Label kurz geschrieben. John Hicks, Ray Drummond und Ed Blackwell sind dabei – und nach en Low-Fi-Aufnahmen von Sun Ra finde ich diese etwas glatte und körperlose digitale Aufnahme (Harvey Goldberg in den CBS Studios, NYC, 20. Juli 1988) grad gar nicht schlimm. Blackwell ist hier der Irrläufer, der vielleicht in mancher Hinsicht den Part von Burrell im anderen Quartett übernimmt, jedenfalls ständig etwas am Laufen hat und für Unvorhergesehenes sorgt. Wie die Band sich mit seinem Nachfolger Idris Muhammad entwickelt (vgl. @vorgarten hier), bin ich gespannt wiederzuhören. Murray spielt einmal mehr irre gut auf, die Band hat durch Hicks und Drummond mehr Wumms – die Rollen sind vielleicht irgendwie vertauscht: Burrell ist im anderen Line-Up der Irrläufer, Peterson bringt – wenn er darf/soll – den Wumms, Hopkins ist zwar kein Feinziselierer, aber die tieftönige Wucht von Drummond ist schon sehr anders. Der Opener ist wirklich eine Art Samba, es gibt also auch hier Latin-Beats, aber sie rollen anders, wuchtiger aus der Mitte heraus – mit fast elf Minuten ist das die längste Nummer des Albums und bietet Platz für Soli auch von Drummond und Blackwell (mit viel cowbell). Auch „Rememberin‘ Fats“, das zweite Stück, stammt von Murray, gleich noch so eine Riff-Nummer und auch wieder über einen teils durchstrukturierten Beat, in dem Bass und Piano ein halbes Tempo suggerieren – finde ich etwas suboptimal programmiert, doch sobald Murray ins Solo übergeht, ist das vergessen – obwohl die Rhythmusgruppe am Beat aus dem Thema festhält, was ja wiederum eine schöne Arrangement-Idee ist, nicht einfach im 4/4 zu solieren. Murray brilliert natürlich – aber bei der Abbildung seines Tons kommt die Aufnahme doch etwas an ihre Grenzen, da fehlt etwas der Glanz. Bei Hicks purzeln die Läufe ineinander, das ist ein völlig anderes Piano als das von Burrell, energiegeladen, drängend, mitreissend.

Die zweite Hälfte beginnt mit der kurzen Ballade „Nowhere Everafter“ – eine klassische Murray-Balladenperformance mit üppigem, bis ins kleinste Detail gestalteten Ton – , wie das folgende „Spooning“ von Butch Morris komponiert. Letzteres ist eine Art Tango-Romp – und ehrlich? Hier wünschte ich mir die andere Band am Werk. Blackwell trommelt zwar tolle Sachen zusammen, aber sie passen nicht, es fehlt auch Hicks und Drummond die nötige Eleganz. Der Closer ist dann Murrays „Walter’s Waltz (For Walter P. Murray)“, den Vater – und da kriegen wir doch mal wieder die Bassklarinette, die er um den Dreh herum recht selten auspackt. Das gefällt mir sehr gut – aber als ganzes packt mich das Album nicht so recht. Es fehlt im Vergleich mit den fünf Vorgänger-Alben schon etwas der Knalltüteneffekt, die irren Akkorde vom Klavier, das flexible Zusammenspiel (obwohl es davon in den letzten zwei Minuten des Albums nochmal etwas gibt) … „Ming’s Samba“ wirkt ein ganzes Stück konventioneller. Kann natürlich damit zu tun haben, dass das Major-Label-Produktion ist.

PS: Weil’s hier einen kurzen Linertext (nur ein Abschnitt nach dem eigentlichen Text von Carlos Figueroa) von „ABARAKA“ gibt: die Dichterin Hettie Jones, Barakas erste Ehefrau, ist vor ein paar Tagen gestorben. Hilton Ahls hat vor zehn Jahren in seinem Nachruf auf Amiri Baraka mehr über sie, seine Ersatzmutter, geschrieben als über ihn.

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