Antwort auf: David Murray

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gypsy-tail-wind
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Die ersten vier Alben erschienen in recht rascher Abfolge 1988 bis 1990, drei Jahre später und nicht unter Murrays Namen sondern als vom David Murray Quartet folgte noch Tenors nach – und da ist der Name nun wirklich Programm: „Equinox“ (John Coltrane) und „Ghosts“ (Albert Ayler) stehen am Anfang, „Chelsea Bridge“ (Ben Webster, komponiert von Billy Strayhorn) und „St. Thomas“ (Sonny Rollins) am Ende. Dazwischen gibt es „Over Time“ von Dave Burrell mit dem Untertitel „A rag dedicated to the tradition of jazz saxophones and adapted from a theme by Punaluu Peter“ (was ein anderes Burrell-Stück ist … oder gibt es da mehr dazu zu wissen?) und „Perfection“, was ein Stück von Ornette Coleman ist – nicht von „Ornette on Tenor“ sondern nur von Murray eingespielt, wie es scheint [schrieb @vorgarten auch schon – hab versucht, die entsprechenden Posts erst zu lesen, wenn meine eigenen fast fertig sind]. Jedenfalls bleibt Murray vollkommen bei sich selbst, egal wen er gerade channelt – und das tut er tatsächlich hier. Wobei bei Ayler weniger Murray als Burrell aufhorchen lässt, mit einem offenen, irgendwie sehr lyrischen Klavier, das auch Cluster und Arpeggien eingebaut kriegt. Ich finde ihn bei diesen ganzen Sessions wirklich besonders, kenne vor allem deutlich ruppigere Sachen aus seiner frühen Zeit („High Won – High Two“, „Echo“, „After Love“, „Only Me“, „Questions/Answers“ im Duo mit Stanley Cowell), hier entdecke ich ihn gerade völlig neu – ohne ihn richtig zu fassen zu kriegen, aber das gehört vielleicht gerade dazu, so quecksilbrig wie sein Spiel oft wirkt. Von seinem Thema hier würden zumindest die Rag-Teile auch bestens ins Repertoire von krawalligen Europäern der Siebziger – Trovesi, Breuker – passen … aber er kriegt all diese irren Brüche hin, ohne dass sie wie Brüche wirken! Das zehnminütige Burrell-Stück wird zu sowas wie dem Kern des Albums. Dann folgt das recht zerklüftete Ornette-Thema, von Hopkins/Peterson ziemlich funky begleitet, während Burrell dazu eher quer steht. Murray ist hier sofort auf 100 und der Beat bricht auf – oder wird so dicht, dass man ihn verlieren kann. Burrell lässt sich nicht bitten, und auch Hopkins kriegt ein Solo, und Peterson grätscht gegen Ende etwas rein … das kürzeste Stück auf dem Album und das heftigste, vielleicht auch eine Art Rückblick, wobei Murray das schon völlig anders angeht, als er es 12 Jahre früher getan hätte – 12 Jahre nur! Irre, was in der Zeit alles passierte im Leben des David Murray! Der Abschluss mit der Ballade von Strayhorn und dem Calypso ist super – da läuft bei Peterson nochmal ordentlich was. Das sind wirklich fünf sehr starke Alben.

Die Favoriten sind nach dem ersten Durchgang „Lovers“ und „Deep River“, also die ersten beiden, und „Spirituals“ wäre heute wohl meine Nummer 3.

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