Startseite › Foren › Über Bands, Solokünstler und Genres › Eine Frage des Stils › Blue Note – das Jazzforum › David Murray › Antwort auf: David Murray
Byard Lancaster ist erstmal die prägende Stimme in Sunny Murrays Quintet, von dem hier „Somewhere Over the Rainbow“ zu hören ist. Aufgenommen vom 14. bis 23. Mai 1976 im Loft von Sam Rivers beim Wildflowers Festival, ist dieses 3-CD-Set (einst fünf LPs) schon sehr, sehr lange hier, war wohl mit vielen der Beteiligten meine erste Begegnung (mit Lancaster zum Beispiel fast sicher, mit Kalaparusha bestimmt auch, ebenso mit Ahmed Abdullah und Charles Brackeen, vermutlich auch mit Henry Threadgill, Oliver Lake, Wadada Leo Smith und Julius Hemphill … und ich weiss noch, wie ich mich über Michael Jackson an der Gitarre wunderte. Murray spielt in „Somewhere Over the Rainbow“ ein für seine Verhältnisse zu der Zeit äusserst zurückhaltendes, aber schönes Solo mit etwas näselndem Ton. Khan Jamal am Vibraphon, Fred Hopkins (ha!) am Bass und der Leader mit seinen selbst in einer Ballade völlig unberechenbaren Drums sorgen für eine tolle Begleitung. The Untouchable Factor nannte Sunny Murray seine Band, die als einzige zweimal zu hören ist, nach der Ballade auch noch mit einem 17minütigen „Somethin’s Cookin'“, wo Lancaster auch Flöte spielt, die Saxophone aber zunächst hinter dem Vibraphon und der toll aufspielende Rhythmusgruppe hintanstehen. Murray ist dann in seiner frühen Phase mit seinem Fragmentspiel voller Multiphonics und Falsett-Cries zu hören – das wäre nicht so super, wenn nicht Hopkins/Murray ständig an ihm dran blieben – und dann auch noch Lancaster dazu kommt. Irre dichter Free Jazz mit einem ziemlich treibenden Puls. Davon hätte ich schon gerne ein ganzes Konzert! Und als Nachgedanke: das Spiel von Lancaster/Murray klingt echt gut zusammen – schade, dass Murray nur selten andere Bläser auf Augenhöhe dabei hat, und wenn, dann sind das ja fast immer Trompeter (mal vom Oktett und er Big Band abgesehen). Das hätte wohl Potential gehabt, zumindest in den frühen Jahren, wo es ihm ja auch nicht immer gleich gut gelingt, die Aufmerksamkeit über längere Zeitdauer zu bündeln.
Von David Murray selbst gibt es nur den weniger als drei Minuten dauernden „Shout Song“. Olu Dara, Fred Hopkins und Stanley Crouch sind dabei. Es gibt Grummelbass, darüber ein wildes Tenorsax, teils vokalisiert, flächige Trompetentöne und Punktierungen vom Schlagzeug. Ist halt sehr schnell vorbei … da würde man schon gerne etwas mehr hören. „Extremity“, das Tenorsax-Solo-Stück vom frühen Album „Low Class Conspiracy“, stammt auch vom Wildflowers Festival.
Dave Burrell ist hier übrigens auch mit einem Trio-Stück vertreten, „Black Robert“, mit Stafford James und Harold White (neben dem von Randy Weston das einzige Stück mit einem Pianisten als Leader – zu hören sind auch noch Richard Harper, Sonelius Smith und Anthony Davis, aber die allermeisten Bands hier kommen ohne Klavier [oder Gitarre oder Vibraphon] aus, es gibt mehr Sax-Trios als Klavier-Trios).
Auf dem Debutalbum des Drummers William Hooker (*1946) ist David Murray auf dem 27minütigen „Soy: Material/Seven“ zu hören, das Seite 2 des Doppelalbums. „… is eternal life“ heisst dieses, Hooker hat es auf seinem eigenen Label herausgebracht, Sonic Unity Concepts. Die zwei dort erschienenen Alben sowie zwei CDs mit unveröffentlichtem frühen Live-Material hat NoBusiness vor ein paar Jahren in der 4-CD-Box „Light – The Early Years 1975-1989“ wieder herausgebracht.
„Soy“ ist eine Trioaufnahme vom 4. Mai 1975 (Cubiculo, New York, Carl Williams) – und ist damit wohl Murrays Debut auf Platte? Der dritte Musiker ist Mark Miller an der elektrischen Bassgitarre. Murray stürmt gleich los, Hooker spielt rollende Trommelwellen dazu, die Bassgitarre lässt zunächst viel Raum, klingt phasenweise ähnlich wie ein übel aufgenommener Kontrabass, doch mit der zunehmenden Verdichtung – Beckenteppiche, immer schnellere, aber weiterhin rhythmisch flexible Tonfolgen vom Bass – wird es doch eindeutig. Nach knapp zehn Minuten setzen die Sidemen aus und Hooker, der schon davor mit Schreien zu hören ist, spielt ein Solo, lautstark begleitet von seiner Stimme. Dann geht es in die längere, zweite Runde im Trio. Thomas Stanley beschreibt Hookers Schlagzeugspiel und seinen Approach als Leader in den Liner Notes zur „Light“-Box so: „Any vestiges of beats or swing are swallowed by a smearing constancy; super fast rolls are stacked and interleaved holographically with crashes and hi-hat chatter to fashion structures that are functionally more tonal than temporal. These spaces and platforms are the sonic basis for the improvisations of whomever Williams has brought onstage with him. These other voices […] are contained by this idiosyncratic approach to drum sound, even as they are supported and informed by it.“ – Ein Musiker, den zu vertiefen sich wohl auch mal lohnen würde, einer, der abseits aller Trampelpfade seinen eigenen Weg durchs Unterholz geschlagen hat und immer noch aktiv ist (zumindest ist 2023 bei Org Music ein recht tolles Album erschienen).
--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba