Antwort auf: David Murray

#12352361  | PERMALINK

gypsy-tail-wind
Moderator
Biomasse

Registriert seit: 25.01.2010

Beiträge: 68,340

Zweite Runde vom Januar 1988 – die Albumtitel soll man hier nicht programmatisch verstehen, oder? Hier gibt es den Titeltrack als Closer, davor einen Opener von Butch Morris namens „Jazz (Is Back)“ – und ich frage mich sofort, ob all seine Stücke, die Murray in den Jahren davor aufgenommen hat, in diesem klassischeren Kontext nicht viel besser funktioniert hätten – manche finde ich auf freieren Alben ja etwas störend oder unpassend. Hier ist das ein guter Opener, in dem Ralph Peterson schon seine ersten Attacken reiten kann, während Hopkins‘ Bass zum Gravitationszentrum wird (und dann in einem tollen Solo zu hören ist, bevor auch Peterson ein paar Takte kriegt) – und ich den Atem anhalte, bis Burrell aufkreuzt, der Murray im Solo strollen lässt. Vier Originals von Murray folgen, als erstes „Home“ als Rubato-Ballade im Duo mit einem hinter Murray sehr zurückhaltenden Burrell. Hier ist Webster in manchen Phrasen echt nicht weit – aber sind immer nur Momente. Im Klaviersolo habe ich einen anderen Gedanken, fühle mich manchmal an Ran Blake erinnert. Das mag auch mit der dunklen Tönung der ganzen Sessions zu tun haben, denen man durchaus den Untertitel „A Murray Noir“ verpassen könnte. Mehr als im ersten veröffentlichten Album der Sessions kommen hier die Sideman zum Zuge. In Murrays Hommage an Johnny Dyani, „Mbizo“, ist Hopkins gleich wieder zu hören, aber dieses Mal front and centre im Thema und mit dem ersten tollen Solo, wieder in einer Rubato-Stimmung, von Peterson den Trommeln grundiert. Murray ist hier an der Bassklarinette zu hören und spielt ein grossartiges Solo über einen inzwischen einigermassen stabilen Latin-Rumpelgroove von Peterson mit impressionistischem Klavier – und klar, Burrell setzt da gleich an, behält sich Stimmung bei, obwohl die Dinge aufzubrechen beginnen, auch durch Einwürfe von Hopkins und das Aufbrechen des Beats – wobei sich hier einfach alles ruhig auflöst und dann verklingt. „Theme 2A“ ist dann eher boppig – aber für einmal von Murray, nicht von Morris. Doch wie gesagt: auch das kann Murray inzwischen souverän – erst recht mit einer Band, die in alle Richtungen strebt. Es gibt zwar Walking Bass (nicht durchgehend allerdings), Comping vom Klavier, Bombs von den Drums – aber das ist alles so unkonventionell gespielt, dass Murrays Tenorsax voller Falsett-Cries und Multiphonics überhaupt nicht deplaziert klingt darüber. Im Klaviersolo – mit harten Kürzeln im Diskant eröffnet – fängt auch gleich ein Bass-Solo an, das Tempo scheint zu schwanken, aber Peterson hat stets alles im Griff, bricht eine wellenartig immer wieder herein, um dann leise zu werden fast bis zum Verschwinden. Später ein weiteres beeindruckendes Hopkins-Solo, sprechend, mit viel Raum, in den Peterson mit Marching-Drums einsteigt und daraus in ein Solo steigt. Vier der sieben Stücke hier sind sehr lang (10 bis fast 13 Minuten) und das gibt der Band viel Raum. Im kurzen „Dakar Dance“ gibt es ein Bsss-Osinato und eine leicht exotische Linie vom Sax, das dann ein tolles Solo ohne Klavier spielt, wieder mal sehr vokal. Es folgt eine lange, schnelle Version von Coltranes „Mr. P.C.“. Und dann zum Abschluss die Geisterbahnfahrt an der Bassklarinette, die @vorgarten schon so perfekt beschrieben hat.

Da Jim Anderson die Aufnahmen vom Januar 1988 aufgenommen hat, klingen die auch umwerfend gut, sehr präsent, klar und dennoch warm und sehr integriert. Schon an dieser Stelle verbindlichsten Dank @vorgarten für das Vorstellen dieser Sessions. Mir war daraus ja bisher bloss „Ballads“ bekannt und ich hatte keine Ahnung, wie phantastisch das alles ist!

Ich muss das irgendwie timen – konnte gestern nach „Lovers“ nicht einfach die nächste CD einlegen. Heute bin ich etwas unterwegs und hab den ganzen Tag, morgen auch … das sollte für die drei restlichen Alben mit gebührendem Abstand funktionieren. Dann noch das Fo’tet und das „Special Quartet“ und dann komme ich in die Neunziger, aber das dauert dann wohl länger.

--

"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba