Antwort auf: David Murray

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gypsy-tail-wind
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Danke fürs Nachgucken @redbeans! :good:

Ich docke hier mal an:

vorgarten

ming (1980)

das erste octet-album: rhythm section mit klavier, dazu 5 bläser (tp/co, as/ts, tb). als schrumpfform der big band, mit der er auch schon seit 1978 experimentiert. für jemanden, der zu beginn vor allem im trio aufgenommen hat, fragt man sich: woher kommt die frühe affinität zu größeren besetzungen? da fehlt vielleicht der tapscott-baustein (seine frühen auftritte in diesem kontext sind leider nicht dokumentiert). aber auch ellington ist natürlich eine referenz (das stück „ming“ beruht auf den harmonien von „melancholia“, weiß stanley crouch in den liner notes). ziemlich lush & lavendish, die arrangements hier, 80er-jahre-mainstream weht erstmals durch murrays konzepte, aber gleichzeitig bleiben loft-jazz und andere formen des kollektiven improvisierens präsent. die besetzung ist spannend: lauter leute aus der 2. generation freejazz, die eine ironische spannung zu den neuen traditionalisten gehabt haben dürften (darüber hinaus ein interessanter mix aus kalifornien & chicago). für crouch ist das murrays geheimnis: ein verständnis von tradition, das weder ayler/coltrane, noch die freie musik danach ausklammmert, im handumdrehen aber eben auch ellington, webster, hawkins aufrufen kann, und blues und geräusch genauso wie sauber artikulierte töne. dreh- und angelpunkt hier ist wieder das klavier, das räume füllt, wovon sich murray aber eben nicht eingezwängt zu fühlen scheint.
nebenthema: selbstporträt von ming smith auf dem cover, damals (bis mitte der 80er) mrs ming murray, der gemeinsame sohn heißt mingus.

Der Beschreibung kann ich wenig hinzufügen ausser vielleicht, dass ich den Verdacht habe, dass auch die „harte“ freie Improvisation europäischer Machart hier mit rein spielen könnte, also Brötzmann usw.? Dass das Klavier eine zentrale Funktion einnimmt, wird schon im ersten Stück, „Fast Track“, deutlich und ich finde Anthony Davis ziemlich toll, so sehr er auch die meiste Zeit im Hintergrund bleiben muss (und auch vom Mix total ungnädig behandelt wird, selbst in seinem Solo sind Bass und Drums dreimal so laut – eigentlich ist das Klaviersolo nur Staffage für die Rhythmusgruppe, das finde ich schon eine irritierende Entscheidung bzw. einen bedauerlichen Betriebsunfall – aufgenommen hat Frank Filipetti, gemischt gemeinsam mit Murray und Kunle Mwanga, der auch als Co-Produzent mit Murray sowie als „session supervisor“ agierte). Die Gruppe hat die Agilität und Explosivität einer kleine Free-Jazz-Combo, aber dann eben auch die Masse einer kleinen Big Band. Die Voicings im recht konventionellen Arrangement des Openers erinnern mich auch ein wenig an Tadd Dameron (mehr denn an Ellington eigentlich). „The Hill“ hat dann eine Art Mingus-Intro mit langen Tönen, gedämpftem Blech, Arco-Bass von Wilber Morris, alles in leicht gespenstisch wirkenden Akkorden – da könnte jederzeit eine Stimme, die ohne Worte singt auftauchen, doch es ist dann eine Trompete (Olu Dara) oder ein Kornett (Butch Morris), die zu tänzeln beginnt, während die anderen aussetzen und nur noch der Arco-Bass und Klaviertupfer aus dem Jenseits bzw. aus der Isolationskabine ohne Mikrophon rüberblinzeln (hab die Liner Notes auf Discogs gefunden, es ist Butch Morris). Dass daraus eine wilde Nummer mit drängenden, sich übestürzenden Bläsern wird, finde ich fast ein wenig einfallslos … aber wie sich das bis dahin entwickelt, die Bassklarinette sich zum weiterhin gestrichenen Bass gesellt, das Schlagzeug das Akzentuieren vom Klavier übernimmmt (es geistert schon vorher ein wenig herum) … das ist schon toll! Nachdem vier Minuten verstrichen sind, folgt eine kurze Tutti-Passage, und ab da gibt es kein Halten mehr, die Band steigert sich immer mehr und bis kurz vor Schluss wird ein irres Netz aus Linien gewoben, von Steve McCall ziemlich toll begleitet (er gefällt mir hier besser als im Trio) – dann kehr nochmal der ruhige Teil zurück. Auch im Titelstück geht es eher ruhig zu und her, hier schlängelt sich das Altsax von Henry Threadgill durch eher statisches Geschehen, die Posaune von George Lewis und das Klavier halten auch dagegen – und Lewis spielt denn auch ein wunderbares Solo, mit riesigem, singenden Ton. In „Jasvan“ kommt dann das kontrapunktische Element, das Stanley Crouch in den Liner Notes mit Verweis auf „Chasin‘ the Bird“ und „Ah-Leu-Cha“ erwähnt, zum Einsatz. Doch das wirkt nach den zwei Stücken davor auch wieder sehr konventionell. Lewis ist gleich wieder der Solist, Davis dahinter ein paar Male auffällig, während McCall irgendwie eher strutten als swingen will, was einen seltsamen Kontrast zum Klavier und dem Bass von Morris ergibt. Wenn dann Murray übernimmt (sein erstes Solo seit dem Opener!?) fällt das alles besser zusammen. Danach folgen Soli der meisten weiteren Sidemen: singender Morris; Threadgill mit zartbitteren Ton und zunächst zähflüssigen Linien, die immer quecksilbriger werden; Dara mit Dämpfer, sparsam, aber auch ziemlich konventionell; dann auch Davis, Morris und zuletzt Steve McCall. Im Closer gibt es ein etwas richtungsloses Intro und dann einen Übergang in eine Art Dixieland-Parodie mit Olu Dara im Lead, der im Solo tatsächlich das Vibrato, den Glanz und die Phrasierung von Louis Armstrong heraufbeschwört. Threadgill gesellt sich dann zum Duett dazu und übernimmt dann mit einem Solo, das sich nicht mehr um den Faux-Traditionislmus schert, der hier Programm ist – doch Lewis an der Posaune holt ihn quasi wieder zurück, bevor die ganze Band mit einem Riff einsteigt, das von einer der Trompeten à la Wah-Wah (aber ohne Plunger) angeführt wird. Die Rhythmusgruppe ist gegen Ende dann richtig warmgespielt … und weil das alles wirklich gebrochen ist – nicht ironisch denke ich, sondern quasi rein innermusikalisch, durch die Schichtungen der unterschiedlichen Stimmen, die Ideen und Vorstellungen der Mitwirkenden, die mit dem vorgegeben Rahmen sehr frei umspringen – wirkt dieser Closer auch nicht wie ein Bruch sondern fügt sich sehr gut zum moderneren Rest.

Bottom line: warum ich dem Album vor 11 Jahren mal fünf Sterne gab, kann ich wirklich nicht mehr nachvollziehen – vier sind drin, das macht fast immer Spass, aber die Arrangements sind schon eine kleine Schwachstelle. Und der Leader selbst kommt hier auch nicht so richtig zu seinem Recht. Schön, dass er den anderen so viel Raum gibt, aber da fehlt dann halt doch etwas. Und dennoch: diese Gruppe steht allein auf weiter Flur, oder? Bemerkenswert ist das schon!

Und jetzt bin ich schon am Punkt, an dem ich wohl eine Pause brauche – zumindest mal bis Morgen ;-)

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