Antwort auf: David Murray

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gypsy-tail-wind
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Am 11. August 1978 ist Murray dann in London im Collegiate Theatre, eine gekürzte Fassung erscheint 1979 als Doppel-LP bei Cadillac, wo zwanzig Jahre später eine Doppel-CD mit dem ganzen Konzert erscheint, fast zweieinhalb Stunden lang. Lawrence „Butch“ Morris ist nach wie vor dabei, dazu kommt aber erstmals eine vollständige Rhythmusgruppe mit Curtis Clark (p), Brian Smith (b) und Clifford Jarvis (d). Das geht gleich rauschhaft los, gerade mal sieben Stücke füllen die zwei CDs, zwischen 16 und 29 Minuten lang. Jarvis hat einen tollen Schepper-Sound, sein Beat wirkt oft sehr frei, auch wenn er Time spielt. Smith spielt einen recht melodischen Bass, Clark ist so individualistisch wie Jarvis – und Morris findet hier phantastisch in die Musik hinein, ist jetzt auch ein ebenbürtiger Partner, eine eigene Stimme, versponnen und auf eigene Art so unberechenbar wie der Leader, der vor lauter Einfällen nur so sprudelt. In den ersten Minuten von „Secret of the Circle“ finde ich Morris besonders toll – die Palette an Sounds, über die er verfügt, kommt hier voll zur Geltung – bevor das Stück mit Murray und Arco-Bass zu einer Art freien Rubato-Ballade wird, zwischendurch von einem Stottergroove von Clark und Jarvis unterbrochen. Es ist wirklich faszinierend, wie sich die Musik hier entwickelt. Die fünf nehmen sich alle Zeit der Welt, alles scheint zu jedem Zeitpunkt möglich, es gibt zahlreiche Wendungen und Drehungen, Verwandlungen – und dabei wirkt das total stimmig. Das ist auch in den Stücken von Morris so, dem sehr offen wirkenden „Secret of the Circle“ und dem auf der Doppel-LP fehlenden „Nairobia“, das mich ein wenig an „Days of Wine and Roses“ erinnert. Die zweite CD öffnet mit „Flowers for Albert“ in einer 29minütigen Version, die auf der LP ebenfalls fehlen musste – was wirklich schade ist, denn das ist einen phantastische Version! Es folgen „Murray’s Steps“ und als Closer ein Latin-Stück vom Bassisten, „Canción de amor en español“, und da drehen sie alle nochmal auf. Brian Smith macht überhaupt einen hervorragenden Job hier – da vermisst man Hopkins oder Dyani keinen Augenblick. Smith hat nicht sehr viel aufgenommen, aber dafür mit den richtigen Leuten, u.a. Fred Anderson (Moers 1978 – kenne ich leider noch nicht), Henry Threadgill oder Muhal Richard Abrams. Er mag nicht den Wumms oder die endlose Kreativität von Dyani mitbringen, dafür einen ausgeprägten Flow, er diesem Quintett sehr gut tut. Dieser Konzertmitschnitt ist jedenfalls wirklich ein Fest!

PS: Curtis Clark mal ein wenig vertiefen ist auch so ein Langzeitprojekt … ich hab allerdings nur vier Alben von ihm, aber die liegen griffbereit.

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