Startseite › Foren › Über Bands, Solokünstler und Genres › Eine Frage des Stils › Blue Note – das Jazzforum › David Murray › Antwort auf: David Murray
Ich bin dann mal dran … zwei Vinyl-Rips aus der Zeit, als es all die tollen Musik-Blogs gab … beide mit Fred Hopkins, „Low Class Conspiracy“ mit einem richtigen Drummer, „Live at the Peace Church“ mit einem imposter, der später seine Berufung fand – Phillip Wilson und Stanley Crouch. Beide Alben sind voller aufregender Momente von Murray, den ich in dieser Zeit bei allem Druck, aller Bestimmtheit, stets auch irgendwie als verspielt, offen, wagemutig nicht bloss im Hinblick auf die härtesten Ausbrüche, die krassesten Chops, höre – sondern durchaus auch eine lyrische, ruhigere Richtung.
Diese verspieltere, auch sehr melodische Seite, ist dann auf dem Live-Mitschnitt vom Silvester 1977 sehr präsent. Davon hatte ich auch mal den India Navigation-Twofer, aber den gab ich wohl weiter, weil die CD in einer der kleinen jazzwerkstatt-Boxen wieder auftauchte, in denen preisgünstig drei oder vier Alben des Labels zu kriegen waren. „Nevada’s Theme“ heisst der Opener, in dem auch Lester Bowie glänzt – obwohl Murray auch zu dem Zeitpunkt keine weiteren Bläser an seiner Seite zu benötigen scheint. Im folgenden „Bechet’s Bounce“ spielt er dann ein irres Sopransax, das klanglich wirklich mehr an Bechet (das heftige Dauer-Vibrato, das Murray aber in einer Pianissimo-Version spielt, nicht schreiend, stechend wie bei Bechet) als an den modernen Sopransaxern (Coltrane, Lacy) orientiert ist. Das ist verspielt, es ist Traditionspflege mit einem Lächeln, auch von der Rhythmusgruppe her, in der Wilson ziemlich abgeht … und Bowie glänzt auch hier wieder, er kann dieses Spiel, das direkt von den Zwanzigern in die Avantgarde und zurück springt, natürlich auch perfekt – und auch hier schon, nicht erst mit der Brass Fantasy. Wilson finde ich ja wirklich einen phänomenalen Drummer und überall toll, wo man ihn zu hören kriegt. Nach dem freien „Obe“ ist das gospellige „Let the Music Take You“ ein nächstes Highlight – hier glänzt Hopkins, der den Groove auslegt, frei umgarnt von Wilson, grad so, wie Bowies Growl-Trompete das Sax des Leaders umgarnt – drei Minuten davon nur … viel zu geizig! Zwei der Stücke, „Obe“ und das 23minütige „For Walter Norris“, stammen von Butch Morris – und das zweite finde ich wiederum sehr toll. Die Band finde ich als ganzes super – vielleicht funktioniert auch die Rhythmusgruppe mit zusätzlichem Bläser etwas besser als bloss im Trio? Irgendwie scheint die Rollenverteilung etwas anders, grad was Fred Hopkins betrifft, den ich hier super gerne mag (eigentlich fast immer, aber bei den Trio-Aufnahmen mit Murray finde ich ihn manchmal etwas aufdringlich). Auch wenn es eher ungezügelt zu und her geht, wie nochmal in Murrays Closer (die anderen vier Stücke hat er alle selbst komponiert), wirkt das alles wie atmende Musik voller Freiräume – interessanterweise selbst dann, wenn Murray eins seiner wuchtigen, druckvollen Soli bläst. Er nimmt Lust, lässt sich Zeit, moduliert den Ton, spielt auch mit der Dynamik (oder dem Abstand zum Mikrophon, keine Ahnung). Ein Highlight bis hierhin für meine Ohren.
--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba