Antwort auf: james 'blood' ulmer

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Music Revelation Ensemble – Elec. Jazz | Ein seltsamer Titel – ich nehme an, es geht eher um Elektrizität als um Elektoren, aber wer weiss das schon, die Alben wurden ja leider alle nur für den japanischen Markt herausgebracht, es gibt keine englischen Liner Notes und keine Columbia-Übernahmen wie bei manchen DIW-Alben von David Murray, dem einzigen Musiker neben Ulmer, der hier vom Vorgänger-Album noch dabei ist. Die Rhythmusgruppe besteht für zwei Alben, die im März 1990 (A & R, Jim Anderson – die Aufnahme ist wirklich gut, Anderson war ja auch bei Enja stets ein Garant, mehr noch als die Marciano-Brüder in ihrem Systems Two, würde ich sagen) und im Oktober 1991 aufgenommen wurden, aus Amin Ali (elb) und Cornell W. Rochester (d). Nach dem Rausch mit Tacuma/Jackson muss ich hier erstmal meine Ohren etwas justieren. Ali fand ich ja auf den gestern mit ihm gehörten Alben grundsätzlich super, aber ich glaube ich mag Tacumas Swag schon etwas lieber. Rochester hat nicht die Power von Jackson oder die Multidirektionalität von Alis Vater – aber er behauptet sich natürlich hervorragend – eben: wenn das Gehör mal drauf eingestellt ist. Im Vergleich zum unbetitelten Album wirkt die Musik hier schlanker, weniger spektakulär, ist aber weiterhin wahnsinnig schön anzuhören, das Zusammenspiel ist dicht, es gibt auch mal ein geradezu klassisches Unisono-Thema im Blues „No More“ mit ts/g in perfektem Einklang, Walking Bass und rudimentär kargem Swing-Beat dazu. Ulmer klingt wieder anders als auf dem letzten Phalanx-Album, verwaschener, verwischter, klanglich reicher. Vielleicht sind es wirklich der Swing, die Jazz-Roots von Rochester, die hier das Gefüge am stärksten verändern – sein Spiel ist oft recht karg, aber die Akzente gezielt gesetzt und alles andere als erwartbar. Das Album ist nach dem Zwiebelprinzip aufgebaut: in der Mitte liegt der Blues an vierter Stelle. Opener und Closer sind zwei Teile von „Exit“ (Tracks 1 und 7), um den Blues herum gibt es zweimal „Big Top“ (Tracks 3 und 5), zwischen „Exit“ und „Big Top“ liegen jeweils noch zwei einzelne Stücke: „Inter City“ an zweiter und „Taps Dance“ (toll, wie das Trio – besonders Rochester! – hier aufspielt, um dann für Murray unvermittelt einen karibischen Groove anzustimmen) an sechster Stelle. Das funktioniert schon alles super, ist sehr druckvoll – auch in Murrays Soli, vorgarten, der das alles besser kennt als ich, schreibt passend von Schwerstarbeit und Sauerstoffzelt. vorgarten beschreibt auch schön die unglaubliche Variabilität von Ulmers Gitarre hier. Sie ist überall (ausser, wenn sie mal aussetzt) und bietet dabei eine immense Palette an Sounds, Klangfarben, Verfremdungen.

Music Revelation Ensemble – After Dark | Die nächste Runde stammt dann aus Sound on Sound Studio in New York (Alex Head) – und es gibt auf dem in der Mitte des wieder sieben Stücke von Ulmer enthaltenden Albums liegenden Titelstück statt dem MRE das Intercity String Quartet (Jason K. Hwang, v I; Rudi Berger, v II; Ronald Lawrence, vla; Michelle Kinney, vc) zu hören – beim Streicher-Arrangement wurde Ulmer von A. E. McClelland unterstützt. Der Gitarrenton ist dieses Mal wieder schärfer – ob das immer eine bewusste Entscheidung war oder auch mit dem jeweiligen Studio-Setup und Tonmeister zu tun hat? Nach einem frenetisch dichten Opener öffnet sich die Musik im langen „Never Mind“, Ali brummelfunkt, Rochester stampft, Murray legt los und Ulmer ist wieder überall, unter, über, hinter und vor den anderen gleichzeitig – das ist er erst recht im folgenden „Maya“, einer Art freien Swamp-Groove-Nummer im Dreiertakt, der bald aufbricht. Die Erweiterung des Gitarrensounds durch das Streichquartett klappt sehr gut – schön, wie das Stück sich verändert, wenn die Gitarre mitzuspielen aufhört, dann später die Drums dazustossen. ich freue mich sehr auf das nächste Album, das in der Aufnahmechronologie zwischendrin liegt (ich übersprang es rasch, um die zwei MRE-Alben mit dem gleichen Line-Up gemeinsam zu hören – machte dann allerdings ein paar Stunden Pause dazwischen). Ansonsten funktioniert das alles nach dem inzwischen bewährten Konzept, sehr tight, oft sehr dicht, kollektive Improvisation in vorgespurtem Rahmen, der aber auch viel Freiräume lässt, es wird geschwitzt (z.B. von Murray in „Back Talk“), es gibt die ornettisch anmutenden gemeinsame Riffs, die satten Grooves (mit immer mehr slapped Bass, dünkt mich?) … und dann an zweitletzter Stelle auch noch eine Swingnummer, „What‘ Your Name“, die vorgarten in seinem Post zum Album völlig richtig als Highlight herausstreicht.

Zwei tollen Alben, aber ich glaub das erste auf DIW ist mir, Stand heute, eine Spur lieber.

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba