Antwort auf: Enja Records

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Abdullah Ibrahim – Dream Time | Ich tendiere ja dazu, aus dem Spätwerk die Alben von Gearbox zu bevorzugen („The Balance“ war eine echt schöne Überraschung und das jüngste von Anfang Jahr ebenso) – aber das ist vermutlich nicht ganz fair. Das Solo-Album auf Gearbox („Solotude“) ist am selben Ort entstanden, wie dieses Album: in der Halle des Hotel Hirzinger in Söllhuben in Bayern, wo Ibrahim seit einigen Jahren stets um seinen Geburtstag herum auftritt. „Dream Time“ entstand jedoch nicht Anfang Oktober sondern am 17. März 2019 – und es gibt, analog zu den drei Trio-Alben, die ich als letztes vorgestellt habe – eine fortlaufende Suite, 69 Minuten, 20 Stücke, als Leitmotiv zieht sich hier der „Blue Bolero“ durch, der in einer ersten knapp dreiminütigen Version früh im Set zu hören ist, dann zweimal in sehr kurzen Versionen als Überleitung wieder auftaucht, und zum Schluss in einer langen, siebenminütigen Version erneut zu hören ist.

Das Material stammt alles von Ibrahim, es gibt Klassiker wie „Nisa“, „District Six“, „Sotho Blue“, „Whoza Mtwana“, den „Blues for a Hip King“ (acht Minuten lang und ein Highlight) oder „Did You Hear That Sound“, Widmungen wie „For Coltrane“, „Song for Lawrence Brown“ und für dessen Boss „Dedication to Duke Ellington“. Aus der „African Suite“ steht „Aspen“ auf dem Programm, dazu ein paar exklusive Spätwerk-Stücke und Ersteinspielungen: „Trieste My Love“ (später auch auf „Solotude“), „Genesis“, „The Balance“ (später auch auf dem gleichnamigen Album wieder), „In the Evening“ (später auch auf „Solotude“ und davor schon auf „Mukashi“) oder den „Blue Bolero“, den es erstmals auf „Senzo“ (2008, kenne ich nicht) zu hören gibt, aber auch auf „African Magic“, „Solotude“ und „3“, dem jüngsten Album.

Was mir hier gleichermassen wie bei den drei Trio-Alben auffällt: Ibrahim nimmt sich Zeit – und darauf muss man sich beim Hören einlassen, sonst plätschert auch das dahin. Wohlgesetzt klingen die Akkorde auf dem Fazioli-Piano (auf dem er die Tage zu bestehen scheint, für „3“ war die Bedingung, dass man ihm einen Fazioli-Flügel hinstellen solle, dann komme er), manchmal fast verschleppt in den meist gemächlichen Tempi. „Dream Time“ ist dafür auch ein passender Titel: das Set klingt wie eine Art filmische Traum-Reise, ein nokturnes, aber keineswegs dunkles Werk. Der Meister mag alt geworden sein – aber er findet Wege, seine Musik so faszinierend wie eh und je zu gestalten. Schön.

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