Antwort auf: David Murray

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gypsy-tail-wind
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Ich hab – ohne hier alles gelesen zu haben (und ohne geguckt zu haben, ob ich drüben bei org hochgestapelt hab … hoffentlich nicht!) nur ne Episode zu den Grabenkämpfen unter den Saxophonisten beizutragen: der Saxlehrer, der in den späten 90ern die Leitung der Big Band meines Gymnasiums übernahm, war wohl so um 1980 herum in Berklee (und hatte da einige Räuberpistolen zu erzählen, z.B.: bei Feueralarm immer in Ruhe alle Instrumente einpacken, denn meistens sei das ein geplanter Instrumentendiebstahl gewesen und kein Feueralarm). Als ich endlich mein Tenorsax hatte und in „Sugar“ von Stanley Turrentine mein einziges kurzes Solo, nahm er mich auch mal beiseite und meinte, ich solle doch nicht mit diesem „dreckigen“ Ton spielen (voluminös, Vibrato, Glissandi und sowas) – er überspielte dann irgendwelche Aufnahmen von Lester Young und den alten Prestige LP-Twofer von Hank Mobley für mich auf zwei 90er-Tapes, um mich zu „erziehen“ – aber das fruchtete nichts, ich war da auch direkt und er hat’s akzeptiert. Mobley kannte und liebte ich da eh schon lange, aber eben auch jemanden wie Johnny Griffin. Selbst Coleman Hawkins lehnte er rundum ab … ich weisss nicht, ob er wenigstens noch die Gnade hatte, ihn als historisch wichtigen Musiker zu betrachten, aber für das Saxophonspiel damals hatte das gefälligst keine Rolle mehr zu spielen: das hatte glatt und elegant, flüssig und mit schlankem Ton zu sein. Er spielte zwar Altsax, aber das klang so à la Mike Brecker … nun ja. Dass Murray in solche Grabenkämpfe gezogen wurde, ist vielleicht weniger überraschend, als dass er auf der „falschen“ Seite landete (nicht, dass er mit den Breckers, Grossmans, Liebmans, LaBarberas in einen Topf geworfen worden wäre, das natürlich nicht, aber zumindest teils dieselben Leute, die diese nicht mochten, scheinen auch ihn abgelehnt zu haben). Das mit dem „playing to the people“ ist vielleicht aber wirklich was … ich hatte ja bei „Lucky Four“ auch wieder Momente der Irritation, manchmal kam mir das alles … etwas zu einfach vor, zu leicht. Ohne dass ich es genauer sagen konnte. Dass das Album bei euch so super angekommen ist, hat mich dann etwas verwundert … aber ich glaub ich bin in meinem Kommentar halbwegs anständig geblieben – und schätze Murray ja eh (live habe ich allerdings bloss das Infinity Quartet mit Saul Williams dreimal erlebt und einmal das Duo mit Aki Takase, mit dem ich zu meiner eigenen Überraschung auf „Sakura“, dem Intakt-Album, super klar komme, aber live ständig Angst hatte, dass die beiden auseinanderfallen, weil sie beide eine so seltsame Konzeption von Time haben und sich die halbe Zeit nicht auf den Beat zu einigen scheinen konnten … scheinen, denn es hat natürlich alles reibungslos geklappt, mich hat einfach ständig was gestört … Stride vor dem Beat und Sax vor dem Beat ist einfach keine so entspannte Kombination – aber auch da war ich wohl relativ allein mit diesem Eindruck, das Publikum liebte die beiden natürlich).

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