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da war ich etwas unpräzise und habe kommentare zu sound und spielweise vermischt. die dolphy-referenz höre ich bei murray in den intervallsprüngen, in den nie richtig im metrum sitzenden linien (dolphy ist meist schneller, murray oft zu langsam, und dann zu schnell, wenn er fahrt aufgenommen hat), und natürlich im zugang zur bassklarinette, und da gibt es auch soundähnlichkeiten (näseln? weiß nicht so ganz, was das sein könnte).
es gibt andere aspekte, die mein verständnis von murray erschweren, weil man da nur archäologisch dran kommt und zeitzeug*innen-material auswerten müsste. frage 1: warum war er direkt so erfolgreich, als er in new york ankam? weshalb kam man offenbar nicht daran vorbei, ihn auszuchecken? und das führt zu frage 2: spätestens mitte der 80er gibt es starke kritik an ihm, oft mit wirklich krasser wortwahl (blender, swingt nicht, kann keine changes spielen, spielt unsauber, schlampig, ist total überschätzt usw.) – war das eine gegenreaktion? oder eine frage zur verhältnismäßigkeit des riesigen outputs? oder eine sichtweisee der neotraditionalisten?
ich habe heute zeug aus 1980 gehört, da gibt es neue facetten:
james blood ulmer, are you glad to be in america? (1980)/ music revelation ensemble, no wave (1980)
mit 18 jahren (also 1973/74) besucht murray im keystone korner (san francisco) ein ornette-coleman-konzert, offenbar lernt man sich kennen, und ornette stellt murray seinen aktuellen gitarristen vor. die zusammenarbeit geht praktisch bis heute. jedenfalls ist murray der saxofonist in ulmers erster band, stürmt mit ihm die weißen downtown-clubs und spielt free funk. der harmolodische zugang als weiterer baustein der murray-spielpraxis, darüber könnte man auch länger nachdenken. der rotzige punk, die wall of sounds, die r&b-fragmente in den (noch wenigen) songs – alles scheint ihm nicht fremd. sehr toll sein solo über „jazz is the teacher, funk is the preacher“, in dem leider abgeblendet wird. der moers-studiobesuch im quartett ist umwerfend, und murray spielt nicht nur über den polyrhythmischen funk hinweg, sondern schlängelt sich auch durch die langsameren grooves, vibriert mit.
solo live (1 & 2), 1980
murray live (und für 3 stücke im studio), im fliegenden wechsel zwischen tenorsax und bassklarinette, vor ausflippendem publikum (warum?). der ansatz ist eigentlich immer: ankerpunkte (figuren, themen, manchmal auch harmonien), dazwischen völlige emanzipation, um am ende eine stimmung, einen ton zu treffen, die/der über das material hinausgeht. das ist dann eben auch mal „body & soul“ oder ein monk-stück, und man kann nicht sagen, dass er respektlos damit umgeht (er verfolgt halt zwischendurch andere ideen weiter). insofern ist der loft-spirit noch sehr intakt, das verknüpft sich mit was, was andere „tradition“ nennen.
ming (1980)
das erste octet-album: rhythm section mit klavier, dazu 5 bläser (tp/co, as/ts, tb). als schrumpfform der big band, mit der er auch schon seit 1978 experimentiert. für jemanden, der zu beginn vor allem im trio aufgenommen hat, fragt man sich: woher kommt die frühe affinität zu größeren besetzungen? da fehlt vielleicht der tapscott-baustein (seine frühen auftritte in diesem kontext sind leider nicht dokumentiert). aber auch ellington ist natürlich eine referenz (das stück „ming“ beruht auf den harmonien von „melancholia“, weiß stanley crouch in den liner notes). ziemlich lush & lavendish, die arrangements hier, 80er-jahre-mainstream weht erstmals durch murrays konzepte, aber gleichzeitig bleiben loft-jazz und andere formen des kollektiven improvisierens präsent. die besetzung ist spannend: lauter leute aus der 2. generation freejazz, die eine ironische spannung zu den neuen traditionalisten gehabt haben dürften (darüber hinaus ein interessanter mix aus kalifornien & chicago). für crouch ist das murrays geheimnis: ein verständnis von tradition, das weder ayler/coltrane, noch die freie musik danach ausklammmert, im handumdrehen aber eben auch ellington, webster, hawkins aufrufen kann, und blues und geräusch genauso wie sauber artikulierte töne. dreh- und angelpunkt hier ist wieder das klavier, das räume füllt, wovon sich murray aber eben nicht eingezwängt zu fühlen scheint.
nebenthema: selbstporträt von ming smith auf dem cover, damals (bis mitte der 80er) mrs ming murray, der gemeinsame sohn heißt mingus.
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