Antwort auf: Rahsaan Roland Kirk

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friedrich

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Was steht denn sonst noch im Plattenregal von Roland Kirk?

Roland Kirk – Volunteered Slavery (1969)

Die erste Seite der LP ist „Roland Kirk plays Gospel und R&B“. Das fängt bitter an mit dem Titelstück, in dem der Titel wie ein Mantra immer wiederholt wird, zunächst schwerfällig und schleppend, zum Ende hin immer intensiver bis einem ganz schwindelig wird. Roland Kirk schreibt dazu: „We are all driven by an unvisible whip. Some run, some have fun, some are hip, some tip, some dip but we all must answer to the invisible whip.“ Begleitet wird er dabei neben seiner Band von dem „Roland Kirk Spirit Choir“, den man auch auf dem track Spirits From Above hört. Damit kommen wir im Gospel an und dann passt der ebenso einfache wie wirksame Glücklichmacher Stevie Wonder-Covers My Cherie Amour hier auch rein.

Jazz, Gospel und Soul, Freud und Leid liegen hier nah beieinander, was sich in Roland Kirks cover des besten Songs aller vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger Zeiten, I Say A Little Prayer, diesem Hybrid aus Liebeslied und Gospel (vor allem in der Aufnahme der größten Sängerin aller Zeiten Aretha Franklin – neben Billie Holiday natürlich) ganz besonders zeigt. Durch ein paar am Anfang der Aufnahme inmitten der Kakophonie der Band deklamierte Zeilen, „They shot him down! They shot him down! They shot him down to the ground! But we’re gonna say a little prayer for him anyway, we’re gonna say a little prayer!“ gibt er dem Stück nochmal ein andere Bedeutung. Das wird man 1969 nach dem Attentat auf Martin Luther King unmittelbar verstanden haben. Und dann folgt eine über 7-minütige stampfende, berauschende und beglückende Version von I Say A Little Prayer. Nicht nur mit diesem Stück, eigentlich mit der ganzen ersten Plattenseite ist es wie mit den Brass Bands in New Orleans: Auf dem Weg zum Friedhof wird der Tod des Verstorbenen betrauert, auf dem Rückweg wird das Leben gefeiert.

Die zweite Seite der LP ist live beim Newport Jazz Festival 1968 aufgenommen. Das erste Stück One Ton ist ein showcase für Roland Kirks Instrumentalakrobatik. Das Herzstück dieses kurzen Sets ist aber ein Medley aus Lush Life, Afro-Blue und Bessie’s Blues als John Coltrane-Tribut. Ein sich langsam aufbauender heißer Ritt, auf dem Kirk vom Tenor zum Sopran (bzw. Manzello) und zur Flöte wechselt. Das geht am Ende nahtlos in das Stück Three For The Festival über und da überschlagen sich dann die Ereignisse und er scheint alles gleichzeitig zu spielen bis die Musik in Fetzen fliegt.

Durch die zwei sehr unterschiedlichen Seiten zerfällt diese LP leider etwas. Jede Seite für sich ist toll. Vor allem die erste ist eine runde Sache, die zweite ist in ihrer Intensität beeindruckend, im heimischen Sessel aber nicht so leicht zu hören. Insgesamt aber ein tolles Spektrum an great black music.

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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)