Antwort auf: Enja Records

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Abraham Burton – Eric McPherson Quartet – Cause and Effect | Wie gerade erwähnt stieg Eric McPherson beim dritten und leider letzten Enja-Album von Abraham Burton zum Co-Leader auf. Zwei andere wichtige Veränderungen gab es: zwei neue Musiker, James Hurt am Klavier und Yosuke Inoue am Kontrabass, sowie den auch schon erwähnten Wechsel des Leaders vom Alt- zum Tenorsaxophon. Wie es dazu kam, ist im Interview im Booklet gleich zu Beginn zu lesen: Louis Hayes heuerte Burton nach dem Tod von Art Taylor an, es gab ein „tenor book“, und statt all die Stücke zu transkribieren meinte Burton, „it was easier for me to rent a tenor“. Der Coltrane-Vibe, der im zweiten Album schon stark ist, zieht sich hier also einerseits – bei Burton – weiter, wird aber andererseits, durch die anders geartete Rhythmusgruppe, das dichte, manchmal geradezu nervöse Klavier von Hurt und den soliden, weniger agilen Bass von Inoue eher wieder abgeschwächt, denn sie gehen in andere Richtungen vor allem als Marc Cary es tut.

Von Hurt stammt der Opener „Nebulai“, ein eingängiges kleines Motiv über ein Bass-Ostinato und einen Rumpelgroove der Drums – und dazwischen eben das Klavier, das noch jede Ritze findet und füllt. Das ist eine ganz neue Ausgangslage im Vergleich zu den beiden Vorgängern – und es ist natürlich auch zu erwähnen, dass zwischen dem Gig im Visiones und der Studiosession am 21. Jul 198 im Bleecker Street Studio einiges Wasser den Hudson River hinunter geflossen ist, auch Burton und McPherson sich verändert, weiterentwickelt haben. Die hymnische Ballade mit angedeutetem Rubato gibt es hier an zweiter Stelle, sie heisst „Dad“ und ist Burtons Portrait seines „mentor in life, the baddest guy I know. This is just a mood on how I see him.“ Das, „just a mood“, ist vielleicht eine gute Beschreibung auch schon für die letzten paar Stücke auf „The Magician“, v.a. „Mari’s Soul“ und „Gnossienne #1“ – mood pieces über verschiedene Rhythmen, die auch dann lichterloh brennen, wenn sie ruhig daherkommen … vielleicht nach dem Vorbild von Coltranes „Alabama“?

Das Titelstück entstand, wie im Interview zu lesen ist, spontan im Studio aus ein paar Ideen, die McPherson hatte. Inoue spielt mit dem Bogen ein erstes Solo über rhythmische Verschiebungen vom riffenden Klavier und dem eigenwilligen Beat von McPherson. Dann setzt Burton ein und mit dem Bass nun als Teil des Vamps wird auch klar, woher die vermeintlichen Verschiebungen kommen: das Stück groovt im 6/8 über einen Bass im 4/4. Burton spielt ein tolles Solo, auf Händen getragen von der Rhythmusgruppe, in der Hurt sich auf sehr wenig Material, ein kleines Riff, beschränkt – bis er dann, inzwischen ist das Stück im 4/4 angekommen, im Solo losstürmt, und da ist kein Halten mehr. Mir gefällt die Rhythmusgruppe aber insgesamt auch etwas weniger gut als die davor mit Cary und Johnson – der Beat von Inoue/McPherson wirkt weniger flexibel, und auch wenn Burton den Stil von Hurt als „very rhythmical“ beschreibt, finde ich sein Spiel gerade in den Soli konventioneller, was sicher auch mit dem vordergründig virtuoseren Approach zu tun hat. Hinter dem zweiten Solo von Burton im Titelstück baut das Quartett wieder eine irre Intensität auf – das ist schon toll!

Ein weiterer Aspekt, der auch auf den beiden Vorgänger-Alben schon zu hören ist, aber hier im Interview ausbuchstabiert wird: die karibischen Wurzeln. „Punta Lullaby“ von Burton ist das Stück, in dem er einen Rhythmus der Garifuna namens „Punta“ aufgreift, die in Honduras, der Heimat seines Vaters leben (die Mutter stammt aus Belize): „It’s a rhythm I grew up with all my life, and I always wanted to play it.“ – eine irre Performance, der Bass zunächst auf zwei Tönen im langsamen Tempo, zunehmende Verdichtung, Beschleunigung, mittendrin dann ein neuer schneller Rhythmus und gegen Ende noch ein längeres ts/d-Duett – und über allem das souveräne Sax mit wunderschönem Ton.

„Forbidden Fruit“ und „The Last Laugh“, die Stücke davor und danach, sind beides Vamp-Stücke – wobei das erste im zweiten Teil in einen 7/4 wechselt. Hier geht für meine Ohren das neue Konzept voll auf: Inoues Bass ist phantastisch, Hurts Klaviersolo tänzelt über dem Groove, ohne zu sehr ins Virtuose zu kippen. Der Closer „The Last Laugh“ ist dann eine gradlinige Blowing-Nummer, in der ich wieder ein wenig die alte Rhythmusgruppe vermisse. Ein eigenartiger Effekt allerdings: hinter Hurt (wieder stark hier) habe ich mit Inoue echt kein Problem – im Trio finde ich das irgendwie stimmiger als meistens hinter Burton.

Mein Eindruck nach drei oder vier Durchgängen durch die drei Burton-Alben (und stets auch das Cary-Album) – der einer kontinuierlichen Steigerung – hat sich inzwischen, nach drei weiteren Durchgängen, jedenfalls wieder verflüchtigt. Die ersten zwei würde ich eher nebeneinander stellen wollen, und dieses hier eigentlich auch, als weitere Ergänzung, jetzt halt auch mit personellen Verschiebungen (und einer Verschiebung der Instrumentenwahl). Jedenfalls dürfte Abraham Burton – von der Frühphase des Labels mal abgesehen – ganz klar die grosse Entdeckung sein!

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