Antwort auf: Enja Records

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Abraham Burton – The Magician | Album Nummer zwei mit derselben Band wie „Closest to the Sun“ öffnet ungewöhnlich, mit „I Can’t Get Started“ als mittelschneller Ballade, McPherson an den Besen, Cary mit seinem reduktionistischem Spiel auch im Solo, Johnsons Bass stets in Bewegung und doch wie ein Fels, und darüber Burton, von dem man sich einbilden könnte, dass er das alles gerade so gut auch ganz allein spielen könnte … achteinhalb Minuten Ballade zum Einstieg in ein Album ist eine Ansage. Und dazu erzählen die Liner Notes von K. Leander Williams die Geschichte. Einerseits habe es in den viereinhalb Jahren mit Art Taylor zwei Jahre gedauert, bis Burton erstmals gefragt habe, ob er auch mal eine Ballade spielen dürfe (bis dahin das Territorium vom Tenorsaxer der Band, Willie Williams), andererseits bezieht sich Burton auf ein einschneidendes Erlebnis bei einem Gig mit Tim Warfield: „We were gigging together one night in Philly – playing standards and stuff – and I was going at it hardd because I figure, y’know, Tim’s a heavy cat. So I’m up there just burnin‘ all night, and I notice that whenever Tim would follow me, he wouldn’t burn and it would be just as cool. That really opened my eyes because it allowed me to hear firsthand something I had thinking about for a long time“ (Burton-Zitat aus Williams‘ Liner Notes).

Als zweites Stück verneigt man sich wieder vor Jackie McLean, dem Lehrer von Burton und McPherson und dessen Boss. „Little Melonae“ spielen die vier, Johnson kriegt im Thema ein paar Takte, Cary dann das erste Solo – und hier brennt die Band wieder lichterloh. Wenn Burton einsteigt, hat sein Altsax wieder fast das Gewicht eines Tenors. Und es ist wie beim Debut schlicht phantastisch zu hören, wie sich das Quartett verzahnt: Die vier versenken sich in den Groove und erkunden jeden Winkel. McPhersons fortlaufender Kommentar zum Sax, die sparsamen Akkorde von Cary, die dann auch wegbleiben, der walkende Bass, der auch immer wieder Akzente setzt … der Leader dreht und wendet das Material. Das ist super tight und zeigt, wie gut die vier nach inzwischen einem knappen Jahr eingespielt sind. In Carys „An Addition to the Family“ schweben die vier dann über dem Beat – und das ist gerade so toll, wie im Stück davor. Und natürlich brennt das eh alles, auch in Carys super-coolem Klaviersolo – auch die Balladen, von denen es in der Mitte des Albums noch eine gibt, eine nochmal deutlich abgelegenere, „Dedicated to You“ von Sammy Cahn, Saul Chaplin und Hy Zaret, das im Jahr seines Entstehens 1937 von Andy Kirk, den Mills Brothers, aber auch von Bob Wills and His Texas Playboys eingespielt wurde. Hier öffnet Johnson am Bass mit einem Ostinato, zu dem sich Cary und McPherson gesellen, nur um sich dann für ein Bass-Solo wieder zurückzuziehen. Wenn Burton erst spät einsteigt, erinnert das an Coltrane-Balladen wie Coltranes Versionen von „I Want to Talk About You“.

Das Coltrane Quartett ist dann wohl für die zwei folgenden Stücke auch wieder der Anknüpfungspunkt: Burtons einziges Original „Mari’s Soul“ und sein Arrangement von Saties erster „Gnossienne“. In beiden ist das Tempo langsam, flexibel, aber stets schreitend bzw. fliessend. McPherson trommelt in „Mari’s Soul“ eine Art Marsch-Beat auf der Snare – es kommt ein leichter „Bolero“-Vibe auf, die Beiträge von Burton und Cary wirken nicht wie typische Jazz-Soli sondern scheinen sich aus dem Gewebe völlig logisch und organisch zu ergeben. In der Gnossienne spielt McPherson rollende Rubato-Beats auf den Trommeln, ausgeschmückt und ergänzt von den Becken. Burton geht mit seinem Ton die Grenzen, überbläst und dort – der Coltrane-Vibe ist hier wirklich stark. Aber die vier machen daraus ihr Ding und die Vorlage von Satie funktioniert für so eine ekstatische Rubato-Performance wirklich hervorragend. Den Abschluss macht dann das Titelstück von McPherson. Ein pentatonischer Vamp im langsamen Tempo mit einer schnellen Bridge. Der Coltrane-Vibe bleibt bestehen, besonders wenn Cary im Solo von Burton aussteigt und sich – trotz präsentem Bass – ein Dialog mit McPherson ergibt. Dass der danach ein längeres Solo kriegt – und beim nächsten Album als Co-Leader fungiert – ist natürlich nichts als gerecht.

Einmal mehr ein superbes Album voller Highlights und sehr geschickt programmiert. Diese Band ist wirklich beeindruckend in ihrem Hunger, ihrem Können, ihrem Pacing auch, was vielleicht der Unterschied zum Debut ist und auf einen Reifungsprozess hinweist, der mit der Entdeckung des Balladenspiels durch Burton zu tun haben mag. Das Album wurde über zwei Tage – 17. und 18 März 1995 – bei einem Gig im Visiones in New York von David Baker mitgeschnitten und erschien noch im selben Jahr bei Winckelmanns Enja-Zweig.

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