Antwort auf: Enja Records

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Maria João / Aki Takase / Niels Pedersen – Alice | Das dritte Album der „First Years in Europe“-Box von Takase ist ein Live-Mitschnitt vom Jazz Ost-West Festival in Nürnberg am 28. Oktober 1990 – und eigentlich eher ein Maria João-Album. Diese öffnet das zehnminütige Medley, mit dem das Set öffnet, unbegleitet. Eine eindrückliche Sängerin zweifellos, aber ihr virtuoser High-Speed-Gesang ermüdet mich auch schnell … beim Vorhören die Tage nahm ich die CD nach einer Viertelstunde aus dem Player und beschloss, sie einmal halbwegs in Ruhe zu hören und dann direkt ein paar Eindrücke zu notieren.

In den Liner Notes aus dem Booklet der Box (vermutlich originale Liner Notes) erzählen sowohl Yosuhke Yamashita (für „Shima Shoka“) wie Horst Weber (für „Alice“) die Geschichte, wie sie Takase nach Europa holten. 1981 bittete George Gruntz, damals Leiter des Jazzfest Berlin, Weber um Hilfe beim Aufspüren einer japanischen Pianistin – mehr Frauen sollten auftreten und Yamashita schlug Ichiko Hashimoto und Aki Takase vor. Weber hörte Takase zum ersten Mal bei einem Auftritt mit dem Quartett des Saxophonisten Akira Miyazawa im Junk Jazzclub in Ginza, Tokyo. Auch ein Freund namens Dr. Uchida und der Kritiker Hideki Sato hatten Weber schon gedrängt, Takase anzuhören. Am Abend drauf nahm er Gruntz mit, um dieselbe Band im Taro Club in Shinjuku, Tokyo erneut zu hören. Da wurde die Einladung nach Berlin beschlossen (Takase durfte eine Rhythmusgruppe ihrer Wahlt mitbringen), aus der dann auch „Song for Hope“ resultierte. Im Jahr darauf organisierte Weber eine Solo-Tour, die bei Enja auf dem Album „Perdido“ dokumentiert ist (auch vom Jazz Ost-West in Nürnberg). Weber buchte im Anschluss verschiedene Tourneen für Takase, und 1986 in Leipzig, als sie im Duo mit Nobuyoshi Ino tourte, hörte sie zum ersten Mal Maria João und war begeistert. Bald tourten João und Takase im Duo, und 1988 brachte Weber „Looking for Love“ heraus, den Auftritt der beiden beim Jazzfestival Leverkusen Ende Oktober 1987. Für den Auftritt in Nürnberg drei Jahre später schlug Takase vor, den Bassisten Niels-Henning Ørsted Pedersen dazuzunehmen. Nach einer vierwöchigen Tour durch Norwegen folgte der Auftritt in Nürnberg – es gab standing ovations und ein Enja-Album.

Ich kann diese Begeisterung durchaus nachvollziehen – der virtuose Einsatz ihrer Stimme ist durchaus beeindruckend, auch in Solo-Nummern verliert João nichts von ihrem Drive. Die Sängerin sprüht vor Charme – und scheint auch eine starke Bühnenpräsenz zu haben (ich hab sie nie live erlebt). Es stehen mehrere Stücke von Takase und gemeinsam komponiertes auf dem Programm – neben viel virtuosem Scat-Gesang sind auch mal japanischen Texte hören, wenn ich mich täusche. Mir wird das einfach immer wieder zu viel mit diesen drei Hypervirtuos*innen, z.B. in „Yoridori Midori“ (Andreas Schmidt und Takase), wo das Klavier so virtuos wie der Gesang ist und NHOP dazu am Bass rast. Direkt darauf folgt der erste von nur zwei Standards, „Old Folks“, zunächst ein Feature für den Bass, der auch ziemlich virtuos wird, noch bevor Takase einsteigt und dann, nach über zwei Minuten, das Thema erklingt. Erst danach wechseln die Rollen, der Bass sinkt in die Tiefe, Takase setzt in der Bridge kurz zum Solo an und nach dem Ende des Themas übernimmt sie dann erneut, recht zurückhaltend, bevor NHOP das Stück wieder beendet (inkl. Faux-Bach-Passage) – und einen Moment lang wünsche ich mir, dass die zwei einfach ein Duo-Album gemacht hätten (ein Duo mit Ino gibt es übrigens, „Teni Muho“ von 1085, nicht bei Enja erschienen). Danach geht’s wieder rasant weiter mit Takases „Presto V.H.“, bei dem die Sängerin bald mit wortlosem Gesang das Thema verdoppelt – der Bass hat hier Pause. „Primaccini“ (João/Takase) ist dann der lang ersehnte Ruhepunkt. Klaviersolo zum Einstieg, und auch beim Einstieg von Stimme und Bass bleibt das eine Ballade, João singt nur mit Worten, es gibt ein feines Klaviersolo – schön! „Es ist schon Zeit, zu Bett zu gehen“, singt João im Titelstück (João/Takase) auf Deutsch, mit charmantem Akzent und völlig unstimmig zur Melodie – doch das gibt sich gleich, wenn sie ins Portugiesische wechselt und das Trio in einen raschen Latin-Groove fällt – und auch das finde ich super. Mehr Text und weniger Scatgesang hilft echt. Als Closer gibt es dann die Hymne „What a Wonderful World“, eine charmante Zugabe im Diseusenstil, irgendwo zwischen Blossom Dearie und Björk.

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