Antwort auf: Enja Records

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gypsy-tail-wind
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david murray, fo deuk revue (1996)

ich schließe jetzt mal meine enja-murray-lücken – ich war wohl ende der 90er etwas übersättigt und habe diese alben mit den comichaften malereien gezielt ignoriert. beim ersthören von FO DEUK REVUE fiel mir aber ein, dass ich murray mit diesem programm live in moers gesehen habe und das gar nicht schlecht fand.
besser jedenfalls als dieses eigenartige album, in dem mehrere dinge aufeinandertreffen, ohne aufzugehen, finde ich. die vielen zusammenarbeiten mit robert irving III und seinen glitschigen schattenakkorden, die den comeback-miles schon efizient strukturiert hatten, gehen hier weiter, dazu kommen noch jamaladeen tacuma und ein funkdrummer, das also geht eher in richtung einer elektrischen jazzfusion, die zu diesem zeitpunkt ziemlich passé war. und wie passen die stimmen aus der afrikanischen diaspora dazu, die percussion, die den geraden beat umschmeichelt, amiri baraka, der ein gedicht vorträgt, senegalesische rapper und saitenspieler? ich finde: kaum. das ding ist im senegal aufgenommen und schließlich in new york mit overdubs verunklart worden. aber vielleicht war das einfach eine übergangsphase, denn bereits CREOLE, an dem ich schon dran bin, klingt viel selbstverständlicher.

David Murray – Fo Deuk Revue | Da setzte ich dann mal gerne wieder an … aufgenommen in Dakar am 3. und 4. Juni 1996 mit späteren Overdubs, die beim Mix im Sound on Sound Studio in New York am 19. und 20. August beigefügt wurden. Auch das eine Justin Time-Produktion, die Enja übernommen hat. Mit Murray in den Senegal reisten Robert Irving III (p/keys), Jamaaladeen Tacuma (b) und Darryl Burgee (d) und trafen dort auf die Rapper von Positive Black Soul (Amadou Barry aka Doug E. Tee und Didier Awadi), eine lokale Band namens Dieuf Dieul (die davor noch nie ein Studio betreten hatte – Tidiane Gaye-voc, El Hadji Gniancou Sembène-keys, Abdou Karim Mané-b, Ousseynou Diop-d, Assana Diop-xalam/g, Moussa Séné-perc/backing voc), den Sänger Hamet Maal (Bruder von Baaba Maal) und den „godfather of percussion groove, the master of sabars“, Doudou N’Diaye Rose (das Zitat stammt aus Olivier Cachins Liner Notes, in denen die Murray-Band hartnäckig als „the Murray trio“ beschrieben wird). Im Line-Up steht noch der Name Oumar Mboup ohne Klammer, die ihn als Mitglied von Dieuf Dieul ausweist – er war vielleicht auch in Dakar dabei? Die Overdubs stammen dann von Hugh Ragin (t), Craig Harris (t), Amiri Barak und Amiri Baraka Jr. (voc) und vielleicht auch noch von den Mitgliedern von Murrays Combo. „Fo Deuk“ heisst „woher kommst du?“ auf Wolof, der wichtigsten Sprache im Senegal.

Das fragliche Saiteninstrument ist die Xalam, eine traditionelle Laute, von der es unterschiedlichste Varianten mit mit 1-5 Saiten gibt, und ein paar gelegentlich auch in den Jazz übergeschwappte Verwandte (Ngoni, Rubab, Kora). Zu hören ist die Xalam in „Chant Africain“, einem Traditional, das Doudou N’Diaye Rose arrangiert hat und einer der besseren Tracks hier, zumindest in der ersten Hälfte; Irvings Keyboard-Kleister hätte ich nicht gebraucht (in NYC overdubbed?), aber der Groove von Xalam, Bass, Trommeln und Chants ist schon toll – ein Kinderchor aus Dakar wirkt hier gemäss den Liner Notes auch noch mit … und der Groove verliert sich in der Masse irgendwann und Murrays Solo klingt auch irgendwie overdubbed, als spiele er von hinterm Vorhang mit.

Ob das passt? Ich finde auch eher nicht, höre hier aber auch einiges an Sounds, wie sie in den Neunzigern da und dort zu hören waren … ein bunter Eklektizismus aus der Zeit, in der „World Music“ ein grosses Ding war halt. Ein völliges one-off ist das Ding nicht, wie den Liner Notes zu entnehmen ist: Murray war schon früher in die Region gereist und auf Gorée aufgetreten („Dakar Darkness“ ist ein Souvenir dieser ersten Reise, es wurde 1994 sogar mit dem Andrew Cyrille Quintet bzw. auf den Japanischen Ausgaben der Combo „African Love Supreme“ in Dakar eingespielt, später noch für Murrays Bleu Regard-Album „Flowers Around Cleveland“ und das WSQ-Album „With African Drums – Four Now“ auf Justin Time, bei dem Chief Bey, Mar Gueye und Mor Thiam mitwirkten).

Ein Stück wie „One World Family“ trägt nicht nur einen Titel, wie ihn damals alles von Michael Jackson bis Johnny Clegg hätten aufnehmen können, und manches in dem Potpourri hier erinnert mich auch an andere Dinge, die ich damals hörte: MC Solaar (obwohl die Rapper auch auf Englisch und – ich vermute – Wolof rappen), Buckshot LeFonque. Das wirkt aus heutiger Sicht tatsächlich ziemlich antiquiert … mein Favorit aus der Enja/Justin Time Murray-Trias ist jedenfalls ganz klar „Creole“, wo die verschiedenen Zutaten nicht nur nebeneinander stehen sondern wirklich gemeinsam musiziert wird. Ich hab ein bisschen den Verdacht, als würde mir ein Album von Dieuf Dieul – vielleicht mit ein paar zusätzlich ins Studio gebrachten Bläsern und ein paar Solo-Spots vom US-Gastproduzenten Murray – sehr viel besser gefallen. Der Track „Abdoul Aziz Sy“ kommt da wohl nah ran (keine Ahnung, ob Irving, Tacuma und Burgee hier spielen oder ihre senegalesischen Kollegen … deren Gitarrist ist jedenfalls dabei) – und ist vielleicht mein liebster hier.

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