Antwort auf: Enja Records

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gypsy-tail-wind
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vorgarten

jim pepper, dakota song (1987)

ich habe eine eigenartige beziehung zu diesem album: sehr früh entdeckt, dann aber wieder weggegeben, dann gemerkt, dass ich es immer irgendwie im hinterkopf habe, also irgendwann wieder auf cd besorgt, aber trotzdem nie so ganz ernst genommen. mir schleppt pepper oft zu sehr, manchmal wirkt es mir zu schwer, zu mühsam, so dass er linien oft eher andeutet als ausspielt, die band arbeiten lässt, dann wieder viel zu schnell den effekt sucht.

tatsächlich ist das ein wunderbares album, mit tollen kompositionen und einer klasse band (lightsey, debriano & betsch), auf dem ich pepper jeden ton abnehme. es gibt zwei standards (auf der cd sogar drei), die ich damals nicht verstanden habe, den gesungenen titelsong (fand ich damals kitschig, heute liebe ich ihn), und ein damals schon heißgeliebtes ornette-coleman-stück, in dem die ganze band total aufdreht. ich muss noch mal in mich gehen, ob ich das in meiner liste ignorieren soll, aber ich möchte das hier empfehlen, es wird fast allen – aus unterschiedlichen gründen vielleicht – gefallen, glaube ich.

Jim Pepper – Dakota Song | Für mich ist das Album eine Neuentdeckung – es lief in den letzten Tagen schon ein halbes Dutzend Mal und klickte sofort. Los gejte es in „3/4 Gemini“ mit einer kurze Solo-Kadenz, in der Pepper am Tenorsaxophon die Stimmung setzt, dann folgt ein satter 3/4-Groove der tollen Rhythmusgruppe, in der Santi Dabriano fast mehr Solo-Platz kriegt als Kirk Lightsey, während John Betsch für einen leichten aber durchaus körperlichen Swing sorgt. Peppers grosser Sound, recht gradlinig, mit relativ wenig Vibrato, ist auch im folgenden „What’s New“ toll zu hören, einer Half-Time-Ballade, in der er gegen Ende auch mal einen Überblaser einstreut. Eine kurze Solo-Kadenz gibt es hier zum Schluss. Das ist alles recht grossspurig, kommt vielleicht auch mal Angeberisch an – und doch steckt Pepper tief drin, es gibt keinerlei virtuose Ausflüchte. Ganz im Gegenteil, irgendwie klingt das oft ziemlich basic, die Kunst liegt in den Nuancen des Tons, in der Melodieführung, in der Phrasierung (dass die für manche Ohren „schleppt“ kann ich glaub ich schon nachvollziehen – vielleicht ein ähnlicher Effekt wie bei Dexter Gordon?). Lightseys Stunde schlägt dann endgültig im dritten Stück, „Jumpin‘ Gemini“ – und wir kennen damit endgültig Peppers Sternzeichen (18. Juni 1941 – 10. Februar 1992, Herkunft: Kaw und Muskogee, geboren und gestorben in Oregon, Salem bzw. Portland.

Die tolle Version von Ornette Colemans „Comme il faut“ hat @vorgarten schon verlinkt, auch für mich ein Highlight hier! Der Rest des Materials stammt bis auf drei (auf der LP zwei) Standards von Pepper selbst, so der „Dakota Song“ mit Peppers Chant (und Tenorsax dazu) und der „Mercer Street Blues“. Der Chant ist für einmal eher verhalten, nachdenklich – über einen tollen Groove der Rhythmusgruppe und mit einem sehr schönen kurzen Sax-Solo in der Mitte. Der Blues einfach ein Blowing-Vehikel, scheinbar ein Chaser nach dem Chant, doch der entpuppt sich bei genauerem Hinhören trotz dem aufgeräumt walkenden Bass als gerade so melancholisch. Drummer John Betsch spielt hier wieder sehr lässig auf. Danach folgt das Ornette Stück und auf der LP der Closer, Burke/Van Heusens „It Could Happen to You“, gespielt als mittelschneller Swinger. Auf der CD geht es mit „Polka Dots and Moonbeams“ (auch Burke/Van Heusen), als bezaubernde Ballade inkl. starkem Klaviersolo präsentiert, und einem letzten Original, „Rainbeaux“, weiter. Das Album wird dadurch ca. eine Stunde lang, und die gehört zum besten, was Peppers Diskographie, so weit mir inzwischen bekannt, zu bieten hat (heisst konkret bei mir: neben dem späten Live-Mitschnitt aus Österreich, „Polar Bear Stomp“, das liebste Pepper-Album – dieses fehlt hier, aber im Index ist Pepper noch einige Male zu finden, er taucht auch noch auf „Mal, Dance and Soul“ auf).

Die Aufnahme stammt aus dem Sorcerer Sound, NYC, 14. Januar 1987, aufgenommen hat David Baker, produziert Horst Weber (das ist ja kurz nach dem Split, aber Pepper lief eh immer über Weber bzw. über Wiesssmüller/Tutu, was ja auch die Weber-Schiene war). Das Cover stammt von Alexander Fischer, der in München zur Bluesband The Mojo Street Gang gehörte und unter „Sandy ‚Mojobohne‘ Fischer“ läuft – er hat einige ähnliche Cover gestaltet, v.a. für Enja:
https://www.discogs.com/artist/4041767-Sandy-Mojobohne-Fischer?superFilter=Credits

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