Antwort auf: Enja Records

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Mike Nock – Talisman | Ein knappes Jahr vor der Aufnahme von „The Opal Heart“ vom Dave Liebman Quartet mit Mike Nock fand auch bereits in Sydney am 5. April 1978 in der Opera House Recording Hall die Session statt, bei der dieses Solo-Album von Nock entstanden ist. Produziert hat auch diese Session Horst Liepolt (mehr zum ihm hier), eine weitere Angabe zum Mix fehlt in diesem Fall, Enja hat in diesem Fall wohl die fertige Aufnahme gekauft und herausgebracht. Ob sie bei Enja schon 1978 (Discogs) oder doch erst 1981 herauskam, wie die Katalognummer eher nahelegt (und was bei Discogs für die US-Ausgabe auf Inner City steht), ist mir unklar. Falls letzteres, wäre es ein relativ zeitnahes Reissue der australischen Ausgabe von 1979 (unten, das Foto ist unkoloriert bei Enja auf der Rückseite der LP zu sehen), auf der übrigens steht „Edited by Mike Nock in New York City“.

Nock, 1940 in Christchurch geboren, war kein Neuling mehr, als er dieses Album aufnahm. Fast alle Stücke stammen von Nock selbst. „Sunrise“ ist ein lyrischer Opener, ein einfaches Motiv, wiederholt, etwas ausgeschmückt – nicht nur hier hat das eher den Charakter eines sich langsam entfaltenden „Lied ohne Worte“ als einer Jazz-Improvisation. Das Klavier klingt dabei wunderbar farbenreich, weich, warm – es singt, gar nicht so unähnlich, wie das bei Keith Jarrett zu hören ist. Es folgt das Titelstück „Talisman“ mit einer hüpfenden Bassfigur, über die Nock das Thema vorstellt – in diesem Fall nicht viel mehr als ein Riff mit einer Art „hook“. Auch hier wird klar: es geht darum, Stimmungen zu schaffen, einen Groove, und dann zu schauen, was passiert. In diesem Fall eine Improvisation, die sehr stringent wirkt. Dann spielt Nock den einzigen Jazzklassiker der LP, „In You Own Sweet Way“, und Nock bleibt im Solo nahe an Brubecks Thema. „Diggers Delite“ schliesst die erste Plattenseite, ein einfaches Riff über einem durch die einfachen Changes geschobenen insistierend nervösen Bass-Ostinato mit Minimal-Music-Anklängen und einer Art Bridge, in der die Basslinie kurz aufbricht – doch die wird im Solo weggelassen, in dem Nock über die Begleitung rifft – bis zum Fade-Out.

„Black Is the Colour“ steht am Anfang von Seite 2 der LP (von Enja als Nock-Komposition ausgegeben), Nock nähert sich dem Thema gekonnt an. Minimalistisch öffnet das folgende „For Cindy“, eine repetitive Figur im Diskant, dazu eine melodische Begleitung – das entwickelt eine Art Kontrapunktik, einen Sog zwischen Barock und Minimal. Melodisch ausschwingend – und darin wieder etwas an Jarrett erinnernd – geht es mit dem ruhigen „Curl“ weiter, bevor „Walkabout“ das Album beschliesst, mit dem zum Titel passenden strollenden Groove.

Die CD bietet noch zwei weitere Tracks, die auf den Ausgaben von Down Under (LP auf 44 Records in Australien, LP und K7 auf Ode Records in Neuseeland) an zweitletzter Stelle eingeschoben waren: „Love Child“ vor „Diggers Delite“ und „What’s New“, ein weiterer Standard, vor „Walkabout“. Warum Enja die zwei Stücke weggelassen hat, weiss der Geier – Scheu vor längeren LPs kann es ja nicht gewesen sein. Sie am Ende wieder beizugeben, finde ich aus dramaturgischen Gründen ziemlich ungeschickt, denn das Album scheint ein durchdachtes Ganzes zu bilden, das auf dem Weg nicht so recht funktionieren will – die beiden Stücke wirken so wie Nachgedanken. „Love Child“ ist ein weiteres freischwingen-lyrisches Stück, in „What’s New“ gibt es eine recht konventionelle aber sehr gute Jazz-Performance mit Thema-Solo-Thema. Bei weitern Hörgängen werde ich sie wohl an der eigentlich vorgesehenen Stelle einschieben.

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #153: Enja Records - Entdeckungen – 11.06., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba