Antwort auf: Enja Records

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Bennie Wallace – The Free Will | Nach zwei Alben im Trio mit Eddie Gomez und ab dem zweiten Dannie Richmond stiess für dieses dritte Album erstmals ein Pianist dazu: Tommy Flanagan, der zu dem Zeitpunkt bereits drei Alben für Enja gemacht hatte (zumindest gemäss der Reihenfolge der Katalognummern, seine „Super Session“ ist nur zwei Nummern unter „The Free Will“, dazwischen liegt das gerade erwähnte Album von Ken(ny) Werner). Ob das eine gute Idee war zu diesem Zeitpunkt, darüber bin ich mir vom ersten Eindruck her noch nicht so ganz im Klaren. Flanagan spielt luzide, seine Klavierlinien und Akkorde kristallin, die Rhythmusgruppe ist deutlich avancierter als die meisten, die Enja für ihn zusammenstellte – und der sich daraus ergebende Kontrast ist interessant. Aber das Zusammenspiel mit Wallace trägt hier manchmal noch nicht sehr weit (noch, weil sich das mit dem unbetitelten AudioQuest-Album 1998 total ändern sollte). Der Opener, Wallaces „The Free Will“, ist eher eher sowas wie ein starkes Sax-Trio mit Klaviertupfern, gefolgt von einem guten Klaviertrio (inkl. Bass-Solo). Das Klavierintro zu „Sophisticated Lady“ setzt dann aber einen völlig anderen Ton, Wallace scheint es zu geniessen, perfekt gebettet zu sein, er lässt immer wieder längere Pausen zwischen den Linien, füllt weniger auf, als er das im Trio vermutlich getan hätte – die Rhythmusgruppe pausiert hier. Das Duo atmet – was vielleicht etwas ist, an dem es Wallace in den frühen Jahren etwas mangelt: am sich Zeit lassen, um Atem zu holen, dem Bewusstsein, dass und wo Pausen gesetzt werden sollen. Ein freies Intro führt „Star Eyes“ ein, Flanagan steigt erst mit dem Thema ein, das nach einer knappen Minute erklingt – und ist jetzt dennoch im Rennen und spielt hier ziemlich stark auf.

Auch in der zweiten Hälfte gibt es drei Stücke, aber umgekehrt: zuerst zwei kürzere, dann einen langen Closer. Alle drei Stücke stammen von Wallace. „Back Door Beauty“ ist ein Walzer, in dem Flanagan nach dem Thema das erste Solo kriegt, aber so richtig zur Sache geht es dann mit dem Sax-Solo, hinter dem Flanagan wieder so halb verschwindet. Im folgenden „Walter“ (bei der LP waren die Titel der letzten beiden Stücke noch andersrum, die Anordnung der Stücke selbst zumindest auf Grundlage der Zeitangaben aber identisch) klingt Flanagan – nach Wallace – wieder engagierter. Richmond ist dann noch in Fours mit Wallace zu hören – doch er ist auf all diesen Alben mit Wallace eh ständig sehr präsent mit seinem völlig eigenwilligen Approach. Auch der Closer „Paslom“ (zu LP-Tagen „Walter“) öffnet wieder frei mit dem Trio, bevor die Band dann in einen schnellen 4/4-Swing fällt. Wallace ist in Form, Flanagan fügt sich nicht so schlecht ins Geschehen ein. Und das ist vielleicht auch sowas wie das Gesamtfazit: Wallace liefert hier ein tolles Solo nach dem anderen glänzt mit seinem phantastischen Ton und den wie immer wild umherspringenden, unberechenbaren Linien. Tommy Flanagan findet ab und zu ganz gut in die Musik herein, anderso gelingt das weniger gut. Eine neue Farbe bringt er dennoch zum Trio, aber das übernächste Album mit Chick Corea funktioniert für meine Ohren zunächst besser – Flanagans Stunde mit Wallace sollte wie gesagt erst später kommen.

Auf der CD gibt es ganze drei Alternate Takes: vom Opener/Titeltrack, von „Star Eyes“ und von „Back Door Beauty“ – erstmals waren die gemäss Discogs bei der Japan-Ausgabe von 2007 dabei, auf der deutschen CD von 1992 fehlen sie jedenfalls noch. Ein Lieblingsalbum wird das wohl nicht direkt – aber eine schöne Ergänzung ist es auf jeden Fall.

Das Album wurde am 31. Januar und 1. Februar 1980 in den Electric Lady Studios in New York von David Baker aufgenommen und von Carlos Albrecht im Tonstudio Bauer abgemischt. Der Bass wird hier stellenweise problematisch für meine Ohren – aber Eddie Gomez war halt ein Musiker, der den Bass-Sound der Zeit mochte, das ist in seinen Aufnahmen mit Bill Evans ja auch schon zu hören.

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