Antwort auf: Enja Records

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gypsy-tail-wind
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vorgarten

bob degen, sequoia song (1976)

große überraschung. ich wollte nur kurz reinhören, als abgleich an den anderen klaviertrios heute (waldron, ibrahim), aber ich finde das phänomenal schön, bis in die bonustracks hinein. mit eckinger und ntshoko, aber viel impressionistischer als gedacht. zweiter nachkauf jetzt nach TARO’S MOOD (und PEACE, aber das war ein blindkauf).

Ich bediene mich auch hier gerne der Vorlage von @vorgarten, die mich in diesem Fall zum (erfolgreichen) Versuch anregte, die „backorder“-CD in Japan zu bestellen. Und in der Tat – das ist sehr toll! Impressionistisch und im Rubato geht es mit dem Titelstück los, nach drei Minuten verfestigt sich der Beat mit Eckinger und Ntshoko allmählich, bleibt aber frei-schwingend, offen. Die drei finden schnell einen gemeinsamen Atem und ja, das ist „phänomenal schön“! Dass das so super funktioniert hat mit allen dreien zu tun. Eckinger spielt einen tiefen, freien Bass, in „Children of the Night“ (Titelstück von Degens übernächstem Enja-Album, das jetzt auch hier liegt) zum Beispiel völlig ohne durchgehenden Linien, es gibt hier nur Eröffnungen, Satzanfänge, zwischendurch Repetitionen, aber nie von der insistierenden Art, wie er sie bei Mal Waldron zu spielen hatte. Ntshoko ist ja eh ein eher karger, schroffer Drummer – und es ist dieser Mix, der mit dem auch in der Verdichtung weiterhin impressionistischen Klavier so wunderbar funktioniert.

Es gibt fünf Originals von Degen – nicht unbedingt erinnerungswürdige Stücke, aber perfekte Vorlagen für das Trio, die in einem abwechslungsreichen Programm münden. In „Little Mak“ etwa, neben dem Titelstück das längste und der Opener der B-Seite der LP, langt Ntshoko dann mal richtig zu, kriegt auch früh ein Solo. Das scheint Eckinger zu prägen, während das Klavier luftig bleibt – Degen vollführt auf dem ganzen Album eine Art Balanceakt zwischen luftiger Leichtigkeit, impressionistischem Spiel einerseits und beeindruckender Substanz und Tiefe andererseits. „Little Mak“ geht quasi den umgekehrten Weg als üblich: Es beginnt zupackend, endet offen, eigentlich ohne Schluss, verliert sich in hingetupften Klängen.

Von Charlie Parker stammt der Closer, „Moose the Mooche“ – tolles Spiel von Ntshoko hier, und interessant, wie Degen sich durch die Changes manövriert, sich manchmal auch von ihnen freizuspielen scheint, indem er in die Reduktion geht. Vom letzten Degen-Tune, dem kurzen und ja: impressionistischen Klaviersolo „Byway“, gibt es auf der CD nochmals einen ersten, etwas längeren Alternate Take zu hören, dann folgt zum Abschluss eine zweite, ebenfalls ein ganzes Stück längere Version vom Titelstück – eine perfekt Abrundung möchte ich sagen, auch wenn das natürlich nicht so geplant war, aber mit dem zweiten Solo (eine schöne Einbettung auch vom Bebop-Anlauf mit den zwei Takes des Solo-Stückes drumrum) und dem Alternate Take von „Sequoia Song“ schliesst das Album auf eine viel harmonischere Art, als wenn es mit „Moose the Mooche“ zu Ende wäre. Aufgenommen wurde „Sequoia Song“ am 24. Februar 1976 im Trixi Studio in München.

Die Vorbehalte von @redbeansandrice kann ich im Rückblick nachvollziehen: hätte ich dieses Album 1996 gehört, wäre ich dafür ziemlich sicher nicht offen gewesen, zu brav und nett wäre es mir wohl vorgekommen. Heute muss ich sagen: Das Album ist eine echte Entdeckung und gehört definitiv in die erweiterte Favoritenliste!

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #153: Enja Records - Entdeckungen – 11.06., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba