Antwort auf: Enja Records

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Michele Rosewoman and Quintessence – Guardians of the Light | Album Nummer 4 von Rosewomans langjähriger Quintessence-Band entstand bei einem Auftritt im Sweet Basil in New York am 19. und 20. März 1999 (David Baker war zur Stelle). Steve Wilson (as, ss), Craig Handy (ts), Kenny Davis (b, elb) und Gene Jackson (d) waren dabei, Rosewoman spielt neben dem Klavier in „West Africa Blue“ auch die gankogui (eine „double bell“ aus Ghana) und ist in „Akomado (for Babaluaye)“ auch als Sängerin zu hören. Sechs Jahre sind seit Album Nr. 3, „Harvest“ (dasjenige, das ich ledier verlegt hab) vergangen, aber es gab nur einen Wechsel: an Handys Stelle war davor Gary Thomas zu hören.

Es gibt hier neues Material – „Free to Be“ und „Fuzz Junk“ sowie eine Solo-Version von Monks „Ask Me Now“ – aber auch neue Arrangements oder Versionen von bereits eingespielten Stücken: „The Thrill of Real Love“, „Vamp for Ochun“ und „Where It Comes From“ stammen vom ersten „Quintessence“-Album, „Akomado“ vom Zweitling „Contrast High“, Mingus‘ „Weird Nightmare“ und ihr „West Africa Blue“ nahm Rosewoman 1990 im Trio auf („Occasion to Rise“, Somethin‘ Else). Die Mingus-Connection ist dabei stark: Handy und Jackson gehörten beide über längere Zeit zum Musiker-Pool der Mingus Big Band. Die Musik hier tränkt sich aus dieser Tradition: Ellington, Monk, Mingus, aber auch weiterhin starke Latin-Bezüge. Wie der zwei Jahre jüngere David Murray oder der eine knappe Generation ältere Arthur Blythe fand Rosewoman Wege der Traditionspflege, die eine Art evolutionären Approach verfolgten. Im Vergleich zu den Vorgängeralben wirkt das vielleicht weniger „on the edge“, aber auch irgendwie gereift, breit aufgestellt und doch mit klarer Handschrift. So richtig abholen kann mich das Album aber bisher nicht. Mein Favorit auf Enja bleibt bis auf weiteres das erste Album, „Quintessence“.

David Murry Octet – Octet Plays Trane | Ich hab oben bei der Zählung der Justin Time-Alben von Murray, die Enja übernahm (oder irgendwie mitproduzierte, keine Ahnung) das erste vergessen, das ich noch nicht kenne („Fo Deuk Revue“) – es sind vier und dieses hier, am 30. April und 1. Mai 1999 in den Sound On Sound Studios in New York aufgenommen, ist das letzte. Das Oktett besteht aus Ravi Best und Rasul Siddik (t), Craig Harris (tb), James Spaulding (as, fl), Murray (ts, bcl), D.D. Jackson (p), Jaribu Shahid (b) und Mark Johnson (d). „Giant Steps“, der Opener, dürfte das im Enja-Katalog am häufigsten anzutreffende Coltrane-Stück sein? Neben bzw. vor Murray schon Tommy Flanagan, McCoy Tyner, Maria Schneider, Aki Takase, Franco Ambrosetti und – mir nicht bekannt – die Dave Bargeron/Michel Godard mit ihrem „Tuba Tuba“-Projekt. In „Naima“, dem zweiten Stück, finde ich Murray sehr toll aber das Charisma, das er hier entfaltet, fehlt dem Album anderswo völlig. Es gibt Solo-Reigen zwischen eher dürftigen Arrangements, ein ziemlich tolles Bass/Drums-Gespann immerhin und auch mehrere gute Beiträge von Craig Harris, der aber im Studio hinter dem Vorhang platziert wurde. „India“ öffnet mit Arco-Bass und Spauldings mäandernder Flöte über einen Beat, der von Hand getrommelt klingt ein äussert stimmungsvoller Einstieg, nachdem Murrays einziges Original „The Crossing“ davor nicht sonderlich inspiriert wirkt. Nach über drei Minuten steigt Murray an der Bassklarinette mit dem Thema ein, dazu gestopfte Trompeten, Klaviercluster … der Bass steigt dann auf Pizzicato um, die anderen Bläser bleiben hinter dem Solo präsent. Mein Favorit hier – auch wenn man vergessen hat, einen Schluss dafür zu konzipieren. Danach klingt „Lazy Bird“ mit seinem lieblosen kurzen Tutti wie eine Reprise von „Giant Steps“. Da muss man durch, dreizehn Minuten Solo-Reigen (in dem ich Harris dann nicht überzeugend finde – aber hier ist irgendwie eh alles total lieblos), um zum Closer zu kommen einer fünfzehnminütigen Version vom ersten Satz von „A Love Supreme“, „Acknowledgement“. Hier folgt auf Murrays ersten Passage eine recht freie Kollektivimprovisation, bevor Shahid mit dem berühmten Bass-Ostinato einsetzt und Jackson am Klavier darüber zu solieren beginnt. Danach Murray, Solo-Reigen, Einwürfe der anderen Bläser … und irgendwann ist es zum Glück dann doch noch fertig, lieblos mit einem Fade-Out. Passend zu diesem Album, das echt kein besonders gutes ist. Auch die Überlänge schlägt nicht positiv zu Buche. Ich habe es seit Jahren nicht gehört und bis zum nächsten Mal werden noch einige Hochwasser Europa verwüsten, befürchte ich (gut, die folgen ja auch immer schneller aufeinander – Tempolimit für Hochwasser einführen?)

Bennie Wallace in Berlin | Um den Tag noch versöhnlich zu enden ein sicherer Wert. 2001 brachte Enja Winckelmann – ich glaub seit dem Weber-Post oben und bis zum Schluss des Durchlaufs kommt nichts mehr von Webers Zweig bzw. dann noch Aldinger mit yellowbird, was ja quasi als Nachfolge von Weber betrachtet werden kann – den Aufritt von Wallace beim Jazzfest Berlin am 6. November 1999 heraus. Die Aufnahme kommt vom SFB, Joe Harley hatte die Finger danach auch wieder im Spiel. Wichtiger als all das technische Zeug ist aber die Band: George Cables (p), Peter Washington (b) und Herlin Riley (d) gehen mit Wallace, wohin es diesen gerade verschlägt. Es geht mit „It Ain’t Necessarily So“ schon umwerfend los, mit „I Loves You Porgy“ folgt eine zweite Ladung Gershwin. Das kantige Original „It Has Happened to Me“ ist auf dem Album „Talk of the Town“ von 1993 zu finden, das mir noch fehlt. Dann folgt eine umwerfende Latin-Version von „It’s Only a Paper Moon“, in die ich mich vor gut 20 Jahren schockverliebte, als ich das Album kurz nach Erscheinen erstmals hörte – auch Cables glänzt hier. Mit der Ballade „Someone to Watch Over Me“ folgt ein drittes Stück vom Gershwin-Programm, bevor zwei Wallce-Originals das Set abschliessen, das schnelle, immer dichter werdende „Thangs“ und als Closer (Zugabe? durfte man das damals beim Jazzfest noch?) das entspannt jumpende „At Lulu White’s“ (erstmals auf „The Art of the Saxophone“ bzw. auf „The Old Songs“ zu finden). Als ganzes ist das ein tolles Set, gut durchdacht im Wechsel von Tempi und Intensitäten, mit einem Saxophonstilisten auf der Höhe seines Könnens, der einen Pianisten an seiner Seite hat, der ihn ganz hervorragend begleitet (wenig erstaunlich, wenn man um Cables Arbeit mit Saxophonisten wie Dexter Gordon oder Art Pepper weiss).

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #153: Enja Records - Entdeckungen – 11.06., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba