Antwort auf: Enja Records

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Harald Haerter / Dewey Redman – Mostly Live | Live-Aufnahmen, die zwischen März 1995 und Juni 1996 in „various locations (Clubs and Festivals) all over Europe“ entstanden sind, veröffentlicht 1996 bei Enja/Tiptoe (Winckelmann). Selten klingt Dewey Redman so toll wie im Opener, Monks „Misterioso“, in dem Haerter (*1958) gleich mal dem jüngeren Kollegen Philipp Schaufelberger (*1970) das Gitarrenolo überlässt. Nach einem kurzen Interlude der Kernband – Haerter und Schaufelberger an Gitarren, Bänz Oester am Kontrabass und Marcel Papaux am Schlagzeug – legt Haerter dann in „Cosmic“ (Peter Kopf) los. Dass Scofield sein Lehrer war, mag man hier rasch hören, dass dieser Haerter damals „a great guitarist“ nennt, ist auch nicht überraschend, wenn man diese Aufnahmen hört. Die Akkorde hier klingen ein wenig nach „The Good Life“, zunächst in slow motion mit dem tiefen Bass von Oester (der mit seinen Rainmakers auch zwei Alben bei der Enja-Familie draussen hat, das jüngste erst Ende 2023 erschienen und erst vor einigen Wochen auf Tour getauft). Das Tempo bleibt langsam, aber Haerters „heart on the sleeve“-Emotionalität und Direktheit – bei allen klanglichen Verfremdungen – ist eindrücklich, die Intensität geht hier trotz des gemächlichen Tempos hoch. Marcel Papaux (1960-2023) intensiviert seine Präsenz hier auch sukzessive. Da vermisse ich Redman, der dann in seinem „Dewey’s Tune“ wieder dabei ist. So geht das weiter mit packendem Modern Jazz. Zwei Quartettstücke (in seinem „Mute“ soliert Haerter, in Monks „Children Song“ wieder Schaufelberger) umrahmen das zweite kurze Interlude, auf dem Klaus Dickbauer an Saxophonen zu hören ist. Für sein eigenes Stück „Walls Bridges“ kehrt Redman zurück (und Haerter ist der Gitarrensolist) und bleibt für Oesters „I Still Love You“ – im ersten spielt Redman eine längere vollkommen unbegleitete Passage, singt später ins Horn, wenn die Band wieder einsteigt. Im Stück von Oester, einer Hommage an die alten Broadway-Songs, lässt er sein Saxophon wunderbar singen. In Denny Zeitlins „Spur of the Moment“ sind dann beide Gitarristen zu hören, der jüngere zuerst. Nach dem dritten Interlude schliesst das Album mit „Variation on Mute“, in dem Komponist Haerter das Gitarrensolo spielt.

Das ist jetzt nicht direkt Lieblingsmusik – aber auch keine CD, die nur wegen Dewey Redman anhören würde. Federnder, groovender moderner Jazz aus den Neunzigern, in viele Richtungen offen, mit starkem Traditionsbewusstsein, das wohl so von den Fünfzigern bis zum Free geht. Gefällt mir wirklich gut.

Ich habe auch „Cosmic“ von derselben Band da. Dort gibt es neben einem Quartettstück zwei mit Redman und drei mit Michael Brecker. Davor nahm Haerter schon mit dem Intergalactic Maiden Ballet auf – das Album „Square Dance“ mit dem Gast John Zorn gab’s in der Bibliothek meines Gymnasiums, ich verstand dieses Album damals allerdings nicht. Inzwischen ist ein Exemplar aus Japan geordert. Das Album „Gulf“ mit den Gästen Eddie Harris und David Liebman, das ich erst in den letzten Wochen beim Durchstöbern der Enja-Diskographie entdeckte, macht mich natürlich auch neugierig. Hier ist Harris‘ Gastauftritt:

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #153: Enja Records - Entdeckungen – 11.06., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba