Antwort auf: Enja Records

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John Stubblefield – Morning Song | John Stubblefield bleibt für mich ein schwieriger Fall: ich mag ihn total, habe enormen Respekt vor seinem Spiel … aber die Aufnahme von ihm, die mich wirklich überzeugt, habe ich bisher nicht gefunden. Sieben Jahre nach „Bushman Song“ nimmt er für Winckelmann (eher überraschend – abgesehen von den eindeutigen Fällen aus der World-Jazz-Ecke hätte ich keine Chance, die Produzenten nach dem Schisma korrekt zu raten, habe aber beim Stapel sortieren für die nächsten Wochen gemerkt, dass ich kaum was von Weber habe) im Systems Two Studio in Brooklyn im Mai 1993 sein drittes Enja-Album auf (das zweite ist „Countin‘ on the Blues“ von 1987, das ich noch nicht kenne). Mit dabei eine luxuriöse Band: George Cables (p), Clint Houston (b) und Victor Lewis (d). Besonders bequem machen kann es sich der Leader nicht, dafür ist vor allem die Rhythmusgruppe dann doch etwas zu edgy.

Es gibt elf Stücke (die Alben dauern inzwischen meist so 55-70 Minuten, dreizehn liegen also auch an einem intensiven Hörtag nicht mehr drin), die in der Regel so 5-6 Minuten kurz sind, neben ein paar Originals (das Titelstück stammt von Cables, Stubblefield hat vier Stücke im Gepäck, Lewis noch eins) gibt es auch „So What“, „Blue Moon“, „In a Sentimental Mood“, Mickey Tuckers „Slick Stud & Sweet Thang“ und als Closer „Here’s One“, ein von William Grant Still arrangiertes Traditional (nicht für die Session, Still starb 1978, ich nehme an, Stubblefields Version bezieht sich auf irgendein Arrangement, das Still mal geschrieben hat). Dass Stubblefield 1995 auch bei Kenny Barron auftaucht („Things Unseen“ auf Verve) ist vermutlich kein Zufall, denn an dessen Aufnahmen aus der Zeit muss ich hier tatsächlich denken: elegant, irgendwie zeitlos, eine Art neuer Mainstream, der zwar offener ist als die neokonservativen jüngeren Kreise ihn damals pflegten, aber irgendwie dennoch nicht besonders frisch wirkt (und beim Bass-Sound von Joe Marciano in „So What“ lassen leider die Siebziger kurz grüssen … anderswo ist das nicht so auffällig, aber hier spielt der Bass halt den „call“ im Thema).

Im tollen Titelstück von Cables oder „In a Sentimental Mood“ (im Duo mit Cables) spielt Stubblefield ein wunderschön klingendes Sopransax (und da ist es dann zur Hymne aus dem Spike Lee-Film auch nicht weit, „Mo‘ Better Blues“). Die süffigen Changes des „Morning Song“, der trockene Pop-Beat – ein paar kleine Verschleppungen und Inflektionen dazu und das hätte wäre eine perfekte Ekaya-Hymne geworden (wie Barron sie ja auch schreiben konnte; und klar, auch bei Ibrahim tauchte Stubblefield kurz zuvor auf, 1989 in „African River„). Also: viel schöne Musik hier, aber so richtig umhauen vermag mich das Album leider auch nicht. Es ist geschlossener, stimmiger als der „Bushman Song“, aber dafür fehlt die Abenteuerlust von dort. Im längsten Stück, Lewis‘ „The Shaw of Newark“ (Woody, I suppose) hebt Stubblefield nach dem Drum-Solo zum Einstieg dann einmal richtig ab und spielt ein mitreissendes Solo, das auch aus dem Tonalen entschwindet – sehr toll. Es gibt viel hier – zuviel vielleicht? Blues, Funk, Balladen, ein Boogaloo (Tuckers Stück), eine wunderbare Hymne zum Abschluss (wieder im Duo mit Cables, der dafür besser geeignet ist als fürs bunte Programm, das er natürlich auch kompetent absolviert).

Ich glaube, was mich irgendwie irritiert, ist wie das Album zwischen „elder statesman“-Album und Pop irrlichtert – auf „Blue Moon“ klingt Stubblefield, als wolle er sich für die neue Band von Sting bewerben. Das ist wunderschön gespielt, total gekonnt … aber irgendwie auch aalglatt, gar nicht weit von wem wie Sanborn (der ja auch ein superguter Saxophonist ist, gar keine Frage). Ändert aber alles nichts an meiner Hochachtung, die auch emotionalen Charakters ist, sich keineswegs aufs handwerkliche Können bezieht.

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