Antwort auf: Enja Records

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Eddie Harris Funk Project – Liste Here! | Nach dem sehr klassischen, rein akustischen und aufs Tenorsaxophon beschränkten AlfaJazz-Album legte Harris bei Enja auch noch ein völlig anderes, aber ebenso tolles Album vor, am 7. und 9. November 1992 im Trixi Studio in München aufgenommen (supervisor: Werner Aldinger, Producer: Horst Weber – ich gehe bei den Angaben davon aus, dass Aldinger im Studio war). Es gibt nach dem irre guten Opener „Funkaroma“ und auch sonst hie und da Applaus, aber ein echtes Live-Album ist das nicht, vielleicht waren am einen Tag ein paar Leute im Studio dabei? Harris singt, spielt Klavier, Orgel, seine „reed trumpet“ (eine Trompete mit Saxophonmundstück) und natürlich nicht wenig Tenorsaxophon. Zum Funk Project gehören zudem Ronald Muldrow (g), Ray Peterson (elb und clevenger upright bass … eine Art Midi-Bass wohl?) sowie Norman Fearrington (d/tamb). Nach dem schon erwähnten Opener mit seinem irren Groove und Saxophonsolo, das ich seit bald 30 Jahren auswendig kenne, gibt es „I Need Money“ (voc/p – gemeinsam mit Muldrow, Bradley Bobo und Durf [Frederick Walker] für das gleichnamige Atlantic-Album von 1975 komponiert) und da ist dann wohl zunächst dieser seltsame Upright Bass zu hören, bevor Peterson auch ein paar Slaptöne einstreut. Harris vokalisiert zwischen den Textzeilen immer wieder, rhythmisch oder melodisch, zwischen Dizzy Gillespie und Bobby McFerrin – wobei Harris natürlich längst keiner Vorbilder und – wäre die Welt eine gerechte – auch keiner Vergleiche mehr bedürfte. Via Overdub setzt dann auch noch ein Varitone-Riff ein (ob die Klavier- und die Gesangsspur im selben Take entstanden, würde ich angesichts des irren Gesanges auch eher bezweifeln).

So geht es weiter mit „Listen Here Hi Life“: das kreisende Tenorsax des Leaders öffnet, dann setzen Rhythmusgitarre, Slap-Bass und hallige Rock-Drums ein … irgendwann kommt die Musik in einen Flow und Harris fängt an, über das Thema zu improvisieren, während in der Begleitung auch noch ein paar Orgelriffs auftauchen, nach einem langen Sax-Solo kehrt der Groove vom Anfang zurück und die Band reitet den noch eine ganze Weile. Viele Aspekte hier kann man durchaus begründet furchtbar finden oder auch ganz emotionslos kritisieren – aber das sind Veteranen, die wissen, was sie tun. Muldrow spielte seit Anfang der Siebziger immer wieder mit Harris. Fearrington kam 1979 auf Tour mit Tina Turner nach Dänemark, wo er hängen blieb und eine ziemlich bunte Liste von Aufnahmen folgte, 1980 auch ein Album mit Chet Baker, im Jahr drauf dann ein erstes mit Harris. Ray Peterson wuchs in Fort Lauderdale und brachte durchaus folgerichtig das Buch „Jaco Pastorius Bass Method“ heraus. Er taucht 1988 erstmals bei Harris auf, in der Fabrik in Hamburg, von wo seit 2022 ein Quartett mit Peterson, Fearrington und Darryl Thompson an der Gitarre dokumentiert ist.

Auch „People Get Funny When They Get a Little Money“ von Harris ist kein neues Stück – aber wie alles Material, woraus er hier zurückgreift, klingt es frisch, anders als die früheren Versionen. Hier sitzt er allein am Klavier und singt seine Klage über die Untreue derjenigen Freunde, die zu etwas Geld gekommen sind und von den mittellosen alten Bekannten nichts mehr wissen wollen. Ein grosser Sänger ist Harris nicht, aber ein authentischer, der zudem seine Mittel (auch das Falsett) gekonnt einzusetzen weiss. Nach vier Minuten setzt mit Händeklatschen und Tamburin ein schneller Groove ein, über den Harris vokalisiert. Dann steigt die Bassgitarre ein, etwas später die Gitarre, sie legen Linien unter den Gesang. Nach einem Gitarrensolo folgt dann Harris am Tenorsax (die Klavierspur läuft weiter) – Fearrington weiterhin hauptsächlich am Tamburin, das allmählich durch das Drumkit ergänzt wird. Der Groove ist irre gut und die zwölfeinhalb Minuten bis zum Fade-Out eine lange Reise von der Klavierballade zum Jazz-Funk mit unverwechselbaren Saxophon-Solo, vom Tamburin zur Groove-Maschinerie dieser Band.

„Is It In“ ist der nächste Klassiker. Varitone, Rock-Drums, tiefer Groove-Bass, dazwischen Gitarren-Fills. Der Stottergroove löst sich dann in einem stapfenden Beat auf, über den Harris ein Solo aus kreisenden Riffs bläst, immer wieder zu den zwei, drei Tönen zurückkehrend, aus denen das Stück besteht. „How Can I Find Some Way to Show You“ ist dann wieder eine Gesangsnummer (mit Piano), hier kriegt Muldrow zwischen den Strophen mehrmals Platz und auch Peterson ist mit einem Solo zu hören. Muldrow nahm wenig später das erste seiner eigenen Enja-Alben auf. In „Walkin‘ the Walk“ gibt es dann zum leichten Beat von Fearrington und dem tiefen Bass-Riff von Peterson nach dem Gitarrensolo eine zweite Bassspur, Peterson soliert mittels Overdub über seine eigene Begleitung, während Harris einen in den Credits vergessen gegangenen Synthesizer bedient und dann darüber zunächst am Sax zu hören ist, das er weg legt, um mit der reed trumpet fortzufahren. Der Closer ist dann „Fusion Jazz Dance“, eine Art Variante über den „Freedom Jazz Dance“ mit insistierendem Faux-Upright-Bass und zickigen Drums, über die Harris und Muldrow unisono das Thema spielen. Hier kriegt dann ganz zuletzt auch Fearrington noch ein Solo. Das ist alles supertight und hat sich mir wirklich eingebrannt … kein Top-10-Material, auch weil das Album an hinten raus etwas von seiner Energie verliert, aber dennoch ein Lieblingsalbum. Ein paar dieser Stücke, besonders der Opener, müssten definitiv mit, wenn ich auf die Insel gehen müsste.

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba