Antwort auf: Enja Records

#12302971  | PERMALINK

gypsy-tail-wind
Moderator
Biomasse

Registriert seit: 25.01.2010

Beiträge: 68,341

Abdullah Ibrahim – Desert Flowers | Hiervon gibt es bei Discogs drei Ausgaben – und drei Cover (das obige noch in einer helleren Variante und das am Ende des Posts). Meine ist aus den USA und kommt mit einer Katalognummer von Rhino (entspricht dem mittleren Eintrag bei Discogs, bei dem das Land falsch ist, aber es steht halt keins – die Traycard sieht aus, als hätte jemand mit der Schere gewisse Stellen rechteckig ausgeschnitten und dann mit Papierfitzelchen abgedeckt, sogar ein kleiner Rand vom Fotokopierer ist zu sehen … irritierend dilettantisch gemacht), und weil die beim Sortieren des Enja-Stapels mal an einer falschen Stelle reingerutscht ist, habe ich schon einige mit höheren Katalognummern vorgezogen. Allerdings wurde „Desert Flowers“ auch erst in Dezember 1991 aufgenommen, als z.B. „As Time Goes By“ schon erschienen war (es gibt dazwischen zwei Dutzend weitere Alben im Katalog). Ibrahim spielt am 18. Dezember 1991 hier wieder einen Steinway Concert Grand im Studio von Rudy Van Gelder. Sein Sohn Tsakwe hat ihm die Synthesizer-Sounds für den öffnenden „The Praise Song“ und das abschliessende „Mizu / Water“ eingerichtet, das erste seiner Heimatstadt Cape Town gewidmet, „after 13 years in exile“ (um den Dreh herum endete die Zeit, die wohl wirklich ein Exil war, und er kehrte nach Südafrika zurück), das zweite seinem Lehrer in einer japanischen Kampfkunst, auf die sich auch der Titel bezieht.

Dazwischen gibt es eine Dreiviertelstunde Solo-Piano, introspektiv, reflexiv mit „Just Arrived“ öffnend, das vielleicht wieder auf die Rückkehr in die alte Heimat bezieht? Es gibt Widmungen an Coltrane („For John Coltrane“, mit Gesang) und die Tochter Tsidi, der „District Six“ und die Namib-Wüste („Desert Air“, mit Gesang) werden evoziert, „Ancient Cape“ bietet einen typischen Cape-Jazz-Groove … und mittendrin ist auch der alte Förderer Ellington mit „Come Sunday“ dabei. Das suitenartige „District Six“ mit seinen typische rollenden Groove und ebenso typischen Melodiekürzeln ist dabei ein eine weitere Auflockerung – und ein Highlight – zwischen Balladen. Die Coltrane-Hommage ist sehr toll, was Text/Gesang angeht, wie auch das anschliessende Klaviersolo. Mit fast acht Minuten ist das auch das mit Abstand längste Stück des Albums. Das Syntzesizer-Outro hat dann etwas Gespenstisches – und wirkt gar nicht so sehr als Fremdkörper, wie es das für mich in den Neunzigern tat, als ich das Album im Laden stehen liess.

Ich höre es zwar nicht ganz zum ersten Mal – aber das ist eine echte Entdeckung! (Und eine Erinnerung, dass ich mich um „African Dawn“ kümmern muss. EDIT: Link ergänzt.)

Abdullah Ibrahim – Mantra Mode | Das nächste Album ist ein komplizierter Fall: der Label, unter denen es auftaucht, sind viele: African Echoes, Enja, Sun, Tiptoe (der US-Vertrieb lief auch über Rhino). Auf meiner CD, die dem undatierten letzten Eintrag bei Discogs entspricht, steht Enja/Tiptoe 888810 (fast das gleiche Nummernsystem wie bei Tutu, dort gab’s 888102, 888104 usw., hier 8888NN und mit fortlaufender Zählweise, das hier war also Album Nr. 10), dazu „ekapa series“ und die Bemerkungen „An original recording by Sun Music Group“ sowie „Under license from Sun Music Group“. Datiert sind alle Ausgaben auf 1991. Sun Music Group überrascht hier nicht, denn die Aufnahme entstand im Januar 1991 in Kapstadt im Milestone Studio. Eirfaaan Gillan und Sun-Gründer Rashid Vally werden als „executive producers“ und Cover-Designer genannt, das auf die CD gedruckte „African Echoes“-Logo kommt mir von anderswo (eine CD der African Jazz Pioneers?) bekannt vor.

Auch sonst ist hier manches nicht wie bei Enja: strikt 40 Minuten dauert das Album, der Sound ist viel heller aber mit schwerem Bass (elektrische Bassgitarre um genau zu sein). Und das Line-Up ist natürlich südafrikanisch, das ist ja ein Homecoming-Album: Johnny Mekoa (t), Robbie Jansen (as/bari/fl), Basil „Mannenberg“ Coetzee (ts), Errol Dyers (g), Spender Mbaddu (b) und Monty Webber (d), dessen Posten einmal, auf „Beautiful Love“, der Leader Ibrahim übernimmt. Ein paar Klassiker sind dabei, z.B. „Barakaat“ und „Tsakwe“ (wie wir inzwischen wissen dem Sohn gewidmet).

Es gibt diese typischen offenen Grooves und melodischen Improvisationen der Bläser – im Opener „Bayi Lam“ glänzt besonders Cotzee, der alte Gefährte, mit singendem, leicht verhangenem Ton. Im Ensemble ist die Trompete tief gesetzt, Jansens Altsax übernimmt den Lead. Als Liner Notes gibt es hier kurze Kommentare von Irahim zu den acht Stücken (in sieben Tracks). Der Opener ist ein Xhosa Traditional, das Ibrahim bei seinem ersten Job spielte und er widmet ihn all denen, die ihn damals förderten (Kippie Moeketsi, der ihn für den Job empfahl, wird erwähnt, ebenso sein damaliger Mitbewohner, Bassist Ntabi Charles).

In „Dindela“, spontan im Studio entstanden, tauch die Gitarre erstmals auf und klingt zunächst fast wie ein weiteres der „african horns“, die hier gemeinsam singen – gemeinsam im Studio . Mbadu spielt ein träge kreisendes Basslick, über dem die anderen riffen, und erst nach über eineinhalb Minuten erhebt sich wieder Coetzee für ein tolles Solo, gefolgt von Mekoa und Jansen. Mit „Barakaat“ folgt dann ein Solo-Stück des Leaders, der sich sonst in dieser Session sehr zurücknimmt. Es wäre auf „Desert Flowers“ auch nicht Fehl am Platz gewesen.

Der „Tafelberg Samba“ war ein Tanz-Hit im Kapstadt der Fünfziger, komponiert von Peter Appolis, und das einzige Stück, zu dem Ibrahim mehr schreibt: „The song is a masterpiece in melodic, harmonic and rhythmic structure – full of drama! It has been haunting me since I first heard it! Last year, 1990, I finally got myself to work with it. It took three months to get the harmonic an rhythmic structure together on piano, in the original recording Peter had only one saxophone but I heard all those rich, luscious sounds that he intended.“ – Hier hören wir es also mit drei Bläsern (die Gitarre ist nicht dabei) – die alle auch kurze Improvisationen beisteuern. „Carnival Samba“ von Ibrahim ist dann der zweite Teil hier („based on the classical structure of the Klops carnival Liedjie„), bevor es zurück zum Song von Appolis geht.

„Mantra Mode“ ist das längste Stück des Albums. Ein hart angeschlagener wiederholter Klavierakkord zum Einstieg, bevor sich eine fliessende Melodie im typischen Ibrahim-Stil entwickelt – erst nach einer Weile steigt die Rhythmusgruppe ein, dann ein Trompetensolo mit Dämpfer und direkt darauf Jansen, zuerst an der Querflöte und nach Coetzee auch noch am Baritonsax, bevor die zweite Trompetenpassage (wieder mit Dämpfer) das Zwiebelprinzip offenbart. Die Begleitung ändert sich während der Soli immer wieder – langsame Verdichtungen und Entspannungen – das Stück hat etwas Meditatives und ist dennoch ziemlich packend.

Auf „Beautiful Love“ ist der Leader dann am Schlagzeug zu hören, er spielt einen einen kargen, seltsamen Beat mit Besen, während die Gitarre (so gemischt, dass sie fast wie ein E-Piano klingt) zum zweiten Mal auftaucht und die Akkorde legt, während Jansen an der Flöte das Thema spielt, quasi im Duo mit Mbadus Bassgitarre, die hier alles trägt. Gewidmet ist das Stück Sathima Bea Benjamin und der gemeinsamen Tochter Tsidi Azeeda sowie den verstorbenen Campbell Gwidela und Johnny Makhatini (ein Anti-Apartheid-Aktivist, wer Gwidela ist, weiss ich nicht). Als Closer folgt dann „Tsakwe/Royal Blue“, gewidmet dem Sohn und „his probing, searching nature and regal conduct synonymous with the bearing of all of our young men“. Über einen Cape-Town-Beat spielt und summt Ibrahim das Thema, irgendwann steigen die Bläser ein und übernehmen unisono das Thema. Jansen spielt am Altsax das erste Solo – sein bestes hier vielleicht, was auch Mekoa (wieder am offenen Horn) anzuspornen scheint. Coetzee ist als letzter dran und so schliesst sich der Kreis.

Ein schönes Album, das wohl als eine Art klassizistischer Nachfolger der „African Recordings“ aus en Siebzigern (zumindest teils auch für The Sun/as-shams entstanden) betrachtet werden kann. Ob es hier mitspielen darf oder nicht, ist mir nicht ganz klar (tendiere zu ja), aber so hoch in der Gunst, dass das relevant wäre, steht es nicht.

--

"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba