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Ich werde ja mit „Lucky Four“ nicht so recht warm bzw. traue dem Album bisher irgendwie nicht ganz über den Weg. Von Takase hat Enja zumindest zum Teil das falsche in die kleine Box gepackt, die ich hier habe (und die mich nur teils begeistert hat vor ein paar Jahren, drum hab ich sie heute auch gar nicht hervorgesucht … ich hab eh noch um die 80 Alben vor mir, von total 200 um Hören herausgelegten. Allerdings nimmt der Spass allmählich etwas ab, weil der Katalog inzwischen schon deutlich weniger abenteuerlich ist.
Jetzt bin ich aber bei einem ganz schönen Ding, das irgendwie dunkel funkelt und mich grad ziemlich packt – wie jedes Mal, wenn ich e einlege, aber wenn es nicht mehr im Player ist, geht es irgendwie gleich wieder vergessen:
Joe Lovano – Sounds of Joy | 26. Januar 1991 im Audioforce Studio in New York (David Baker), von Karl Berger „supervised“ … neun Stücke im Trio mit Anthony Cox und Ed Blackwell, der Leader am Tenor, aber auch mal am Sopran und der Altklarinette (die Standardversion ist die linke im Bild mit zweien, die dann auch auf dem Foto weiter unten gespielt wird, was Lovano für ein Instrument nutzt, weiss ich nicht, er hatte ja manchmal eher ungewöhnliche Dinge, z.B. ein gestrecktes/gerades Tenorsax). Die Altklarinette kommt in „Bass and Space“ (von Judith Silverman, aka Judi Silvano, Lovanos Ehefrau) zunächst im Duo mit Cox zum Einsatz, in der zweiten Hälfte stösst dann Blackwell dazu. Das Material stammt sonst knapp zur Hälfte von Lovano selbst, je ein Stück stammt von Emil Boyd („who compossed ‚Cedar Avenue Blues‘ in memory of my dad Tony ‚Big T‘ Lovano after his untimely death Jan 8 1987“), Ron Smith („knowing him and his family has been one of the great pleasures of my life“), Paul Motian sowie George Treadwell/Jerry Valentine („I’ll Wait an Pray“, für Sarah Vaughan geschrieben, mit der Treadwell von 1947 bis 1957 verheiratet war, Coltrane hat das Stück bei unsereins bekannt gemacht).
Als Haupt-Liner Notes gibt es einen Text von Michael Hrebeniak aus „Jazz FM“, in dem Lovano eine Art Mater Class erteilt. Und weil ich alle diese Nuancen in der Musik hier höre (im Gegensatz z.B. zu den Aufnahmen mit John Scofield, das betont Lovano anderswo im Text auch: er spielt je nach musikalischem Umfeld anders, sucht andere Lösungen) möchte ich das hier relativ ausführlich wiedergeben:
To miss the beauty in music is a drag. When you hear cats like Joe Henderson, Charles Lloyd, Wayne Shorter and Sonny Rollins, the impact of the beauty in their playing hits you. By the time Coltrane recorded Crescent and Inter-Stellar Space he was meditating when he played. The beauty of his sound came out whether he played loud or soft. I’m trying to play with the sensitivity of a violinist, or a pianist like Keith Jarrett or Bill Evans – someone who brings out the richness in tone from double forte to triple piano with the same intensity.
I approach the harmonic overtone series from the bottom of the horn and try to hear the intervals within those harmonics. It has a lot to do with ear development. You can’t jut „finger this and blow like that to get this sound“. The tenor saxophone has a lot of mysteries in it. I don’t know if it’s just the range of the horn and your approach to sound. At first you try to overblow but as time goes on you start to hold on to your notes and lip a fourth or fifth away through the whole octave. Joe Henderson is a real master of this.
I’m starting to find those things at softer volumes while moving the air through the horn. To play soft you blow the same amount of air as when you play loud. It’s the speed of the air that makes the difference.
My approach is to play with spontaneous harmonic development as I’m improvising. So I’ll take different notes from the melody, move keys around and try to develop a harmonic flow. The sound and groove of the other band members give me ideas to feed off, so I’m not just playing what I already know, but using my knowledge to play the unknown and find some music.
Das mit dem Oberton ohne Überblasen kann man z.B. auf dem gehaltenen Schlusston von „Cedar Avenue Blues“ sehr gut hören. Der ganze Rest ist selbsterklärend und hoffentlich auch für Leute, die nie ein Saxophon in den Händen hielten, nachvollziehbar – drum mache ich mir die Mühe mit dem Abtippen. Ich finde das alles hier in der Musik tatsächlich wieder
Im neuen kurzen eigenen Text heisst es dann u.a.: „Jazz is one of the sounds of joy we know, you can’t play this music unless you truly love it and love the excitement of exploring melody, harmony and rhythm as a unit. Playing with Ed Blackwell and Anthony Cox in a trio format was one of the most creative and enjoyable experiences in my musical history to date. We came together in the studio for the first time and the first piece we played was the title cut ‚Sounds of Joy‘. As we carried on through the session each piece developed as a trio, we played with a sense of exploration and discovery.“ „Sound of Joy“ und „Strength and Courage“ habe er extra für Ed Blackwell für diese Session geschrieben.
Die Freude am Entdecken von Klängen und Stimmungen, die Freude bei Zuhören und gegenseitigen Entwickeln der Musik scheint hier tatsächlich stets greifbar zu sein. Für mich klingt das nach einem völlig offenen Setting, jeder bringt seine beträchtlichen Fähigkeiten und Erfahrungen mit, auf das alles kann wie selbstverständlich zurückgegriffen werden. Der Sound des Trios ist wie gesagt eher dunkel, was viel mit Cox‘ Bass aber durchaus auch mit den Schattierungen und Nuancen von Lovanos Tenosaxophon zu tun hat, das immer wieder eine Art Chiaroscuro-Effekt erzeugt, mit der von ihm selbst geschilderten Klangarbeit auch einen unendlichen Reichtum bietet. Und der Drummer ist natürlich Legende, seine trockenen Rolls auf der Snare, überhaupt die Arbeit an den Trommeln ist echt phantastisch – auch er verfügt da über eine immense Palette innerhalb seines ureigenen Stils. Schön zu hören ist das z.B. im langen Duo mit dem Sopransax in „This One’s for Lacy“, dem zweitletzten Stück, das dann also eindeutig Steve Lacy gewidmet ist (es gibt im Booklet keinen Hinweis; Lovanos Ton ist weicher, nicht unbedingt voller oder runder – es bläst aber schon auch mal ein paar Lacy-mässige „Fischhorn“-Töne). Im letzten Stück, Motians „23rd Street Theme“, spielt dann Cox das erste Solo und zeigt, wie seine Stärke in der Zurückhaltung liegt – er versucht nicht zu glänzen, sein Bass klingt dunkel, er bleibt in der Tiefe – und klingt dabei wirklich toll! Es gibt eine Widmung an einen von Blackwells frühen Bandleader („Ettenro“) und das gibt schon auch etwas die Richtung vor. Die Einflüsse von Rollins, Henderson – und auch von Coltrane, dessen Name nicht fällt, aber mit dem Stück „I’ll Wait and Pray“ eh auch im Raum schwebt – sind anderswo momenteweise zu erahnen, ohne dass hier irgendwie kopiert oder imitiert wird. So frei und offen klingt Lovano für meine Ohren auch mit Paul Motian nicht (dem und auch seinem Kollegen bei Motian, Jim Pepper, dankt er in seinen Liner Notes; aus den Danksagungen dort habe ich auch die Infos zur Smith und Boyd oben, Silverman, seine Mutter Josephine Verzi Lovano und Tante Rose Verzi, Berger und Horst Weber werden alle auch noch verdankt).
Warum ich dieses Album nicht viel häufiger höre, weiss ich auch nicht … es ist wirklich super!
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PS: Lovano und Cox wirkten um die Zeit auch beim Album „Sequestered Days“ von Gust William Tsilis mit – mit Billy Hart und Peter Madsen … das erweckt gerade meine Neugierde – kennt es jemand?
https://www.discogs.com/release/3282132-Gust-William-Tsilis-Sequestered-Days/image/SW1hZ2U6NjA4OTk4MQ==
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