Antwort auf: Enja Records

#12299953  | PERMALINK

gypsy-tail-wind
Moderator
Biomasse

Registriert seit: 25.01.2010

Beiträge: 68,341

Abdullah Ibrahim & Ekaya – African River | Das nächste Album vom Meister aus Kapstadt – und hier habe ich seitdem ich mich erinnern kann bedauerlicherweise den Eindruck, dass ich der einzige im Forum bin, des es in höchstem Masse schätzt. Mit einem Cape-Town-Rhythmus geht es los, Horace Alexander Young ist der Solist am Sopransax. John Stubblefield (ts/fl) und Young (as/ss/picc) sind dabei, zudem Howard Johnson (bari/tuba/t) und zudem Robin Eubanks (tb). Buster Williams und ein Drummer namens Brian Adams komplettieren die Band. Und natürlich hat Ibrahim alles komponiert, arrangiert und spielt das Piano. Aufgenommen wird am 1. Juni 1989 bei Van Gelder (auch wenn Enja längst auf zwei aufeinanderfolgende Tage zur Albumproduktion umgestellt hatte: bei Ibrahim gab’s nur einen, das reichte wohl immer). Ein kleines Detail, weil’s schon bei „Mindif“ steht: heute will Ibrahim ja ein Klavier von Fazioli, damals noch: „plays Yamaha Grand Piano“.

Im fast zehnminütigen Titelstück ist dann fast die ganze Band zu hören. Zwei Sax-Soli rahmen eins von der Posaune, dann ist noch Williams am Bass dran, Johnson ist im ganzen Album fast so präsent wie die Rhythmusgruppe, auch wenn er weniger Solo-Platz kriegt. Das verzahnt sich alles wieder perfekt und auch der Sound von RVG ist wieder gut. Das Klavier klingt irgendwie aus dem Mischsound wunderbar hervor – und Ibrahim braucht auch nur ein paar Riffs und Kürzel einzustreuen, um seine Präsenz zu markieren, darin inzwischen dem grossen Vorbild Ellington längst ebenbürtig.

„Joan – Capetown Flower“ ist eine Hymne, Stubblefield singt das Thema, getragen von weichen Akkorden der Band (Barisax, Posaune und Flöte – auch so ein Ellington-Ding), die Soli kommt dann von Johnson am Barisax (er setzt im Tenorregister an, sinkt dann allmählich ab, sehr effektiv) und Eubanks. Dann übernimmt Young am Altsax für den Schluss mit dem Thema. Im folgenden „Chisa“ wieder mit einem unverwechselbaren Groove, ist Young wieder am Sopransax zu hören – und übernimmt den Part, den der Leader zehn Jahre früher wohl noch selbst gespielt hätte (weniger brillant aber etwas enigmatischer vielleicht?), während Johnson rifft.

Auch der Groove in „Sweet Samba“ ist mitreissend, Young ist der ersten Solist am Piccolo nehme ich an, dann erst folgt das eigentliche Thema. Stubblefield soliert dann als nächster, plötzlich tauchen flirrende Riffs (Piccolo-Flöte und Barisax – Gil Evans schielt herein) hinter ihm auf, dann folgen kurze Soli von Posaune, Flöte (oder Piccolo?), Trompete (Johnson konnte echt ziemlich alles – sicher nicht das beste Trompetensolo, das man zu hören kriegen kann, aber trotz einiger kleiner Patzer sehr charmant, flächig gespielt und mit Biss – klingt eher nach Kornett, aber im Booklet steht Trompete), dann nochmal ein Sax (Young am Alt?), ein paar Takte Bass, erneut Trompete (und jetzt hat Johnson nochmal einen Gang höher geschaltet, shades of Don Cherry) und Flöte, dann das flirrende Riff, nochmal die Posaune … und wenn das Sax zurückkehrt bin ich erneut unsicher, ob das nicht auch wieder Stubblefield ist? Egal, das ist ein tolles Stück mit dem (nicht ganz echten?) Samba-Beat, dem catchy Themenkürzel, den vielen kurzen Soli, arranger’s touches …

„Duke 88“, eine Ellington-Hommage mit Bläser-Riff, das vom Barisax initialisiert wird, bietet einen ruhigeren, jedoch zügig walkenden Gegenpol. Eine Saxophon-Melodie schält sich fast zögerlich aus den Riffs heraus, das Klavier streut ein paar Fills ein, das Schlagzeug wird dichter. Dann kriegt Eubanks das erste Solo – und sein Auftritt auf dem Album gefällt mir sehr. Er fügt sich perfekt ein, bleibt doch spürbar modern, schlank im Ton, elegant, aber da und dort mit einem Cry, der perfekt in die afrikanischen Aufnahmen Ibrahims aus den Siebzigern passen würde. Dann sind die Saxophone dran, in aufsteigender Reihenfolge Bariton, Tenor und zuletzt Alt. Das ist eine recht straighte Jazznummer, aber durch die ständig präsenten Riffs der anderen und Ibrahims prägendes Piano bleibt sie unverkennbar.

„The Wedding“ ist die zweite Hymne hier, eine alte bekannte. Ibrahim öffnet am Klavier, dann singt Young am Altsax das Thema (das gehört auf „African Marketplace“ Carlos Ward), während die anderen liegenden Choral-Harmonien drunter legen, auch Williams mit Bogen. Zauberhaft – und auch das einzigartig, gibt es so nirgendwo sonst, zumindest wäre mir das nicht bekannt. Ruhig auch der Closer, „A Mountain of the Night“, noch ein Klassiker, Querflöte und Barisax und Bass, Klaviertupfer, liegende Bläser mit langsam wechselnden Akkorden, ein leichter Besen-Swing … so könnte ich mir in den Himmel hochzufahren vorstellen, würde ich an solche Dinge glauben. Schön.

Abdullah Ibrahim – No Fear, No Die (S’en Fout La Mort) | Am 18. Juli 1990 ist die Band wieder bei Van Gelder, es entsteht der zweite Soundtrack für einen Film von Claire Denis (ich kenne sie leider beide noch nicht). Young (as/s/fl) und Williams sind wieder dabei, Ricky Ford (t) ist vom ersten Album von Bea Benjamin noch im Ohr. Jimmy Cozier (bari/cl), Frank Lacy (tb) und Ben Riley (d) sind die neuen Gesichter. Der Charakter der Musik ist hier noch einmal etwas anders, noch tänzerischer, leichter – was wohl damit zu tun hat, dass Denis‘ Film in die französischen Antillen und weitere Karibik-Inselstaaten zum Hintergrund gehören? Mit „African River“ bin ich so halb aufgewachsen (es kam etwas später dazu), „No Fear, No Die“ kaufte ich dann zuerst selbst, ich denke so um 1997 herum, jedenfalls noch vor dem Reissue von 2002 (das in die „Vintage Series“ gehört, die wiederum bei Enja läuft, dort sind dann alle drei Label-Logos: Tiptoe, Enja und Ekapa zu finden, auf meiner CD von 199 nur die ersten zwei, aber drunter steht „ENJA-TIPTOE Ekapa Series“ – auf drei Zeilen … etwas verwirrlich, das alles, aber ich betrachte das alles als Enja-Alben, Ibrahim hatte als Zugpferd wohl einfach etwa mehr Freiräume als die meisten anderen).

Ein Calypso rahmt das Album: der langsame, dunkelschattierte „Calypso Minor“ dient als Opener. Wichtiger noch als Fords Tenorsax ist hier Lacys Plunger-Posaune, und die ist natürlich eine Ellington-Reminiszenz – und die Personalie, die hier die merklichste Veränderung im Bandsound bewirkt. „Angelica“ folgt, ein Lieblingsstück gerade in dieser Version – aber auch im Original von „Duke Ellington & John Coltrane nicht zu verachten. Lustigerweise hab ich zuerst gerade nach „Angelica Ellington Coleman Hawkins“ gesucht, weil der Sound, den Ibrahims Arrangement hier erzeugt, viel besser zu dem Album passt. Die Soli hier kommen vom mir Ford, Lacy und Williams (der ist jetzt endlich wirklich unproblematisch aufgenommen).

„Meditation, II“ folgt (die erste ist später zu hören), eine wunderbare Performance, getragen von Williams und den nur fein punktierenden Ibrahim und Riley, darüber Ford – oder doch Cozier? Irre, was Ford für eine Sonorität hinkriegt, ein paar der Töne dünken mich so tief, dass sie am Tenor kaum zu erzeugen sein dürften, aber das bilde ich mir wohl nur ein. Lacy und Ford wechseln sich dialogisch mit Solo-Passagen ab, und ihre jeweiligen Sonoritäten passen wahnsinnig gut zusammen.

„Nisa“, das vierte von sieben Stücken ist mit über 12 Minuten das Herzstück des einigermassen symmetrisch aufgebauten Albums – zunächst spielt nur die Rhythmusgruppe mit Williams als Solisten. Nach knapp zwei Minuten ein tiefes Bläser-Riff – unbegleitet, bis Ibrahim trillernd die Rhythmusgruppe dazu holt, ein unendlich verführerischer Groove entsteht – und eine weitere wahnsinnig schöne Stimmung. Und das, die tollen Stimmungen, die meist dunklen, sehr reichen Klangfarben, sind das, was dieses Album so besonders machen. Ford und Young spielen tolle Soli. Dann folgt Lacy, der hier zunächst schlanker auftritt, während Williams dahinter die Führung zu übernehmen scheint. Dann Cozier (und da ist der Fall jetzt klar, dass das davor alles Fords Beiträge sind), Williams – nur noch leise von der Hi-Hat begleitet. Ford ist am Ende nochmal an der Reihe – rauschhaft, vom riffenden Barisax geerdet.

In „Kata“ gibt es ein insistierendes Bass-Riff, einen leichten Beat von Riley, irgendwann das gemeinsam von den Bläsern vorgestellte Thema, dann Soli von Ford, Lacy, Young (fl) und Young (ss), wobei zwischendurch jeweils kurz das Thema eingestreut wird und Ibrahim hinter den Solisten teilweise aussetzt. Am Ende setzt dann Cozier mal noch einen Moment zu früh ein – vielleicht etwas, was bei anderen zu einem weiteren Take geführt hätte… aber ist doch egal, den Flow hier kann man eh nicht toppen, warum also nochmal von vorne anfangen?

„Meditation I“ und der zweite Take vom „Calypso Major“. Eine Hymne für Youngs singendes Altsax zuerst, feine Besen von Riley, ein weit ausschwingender Bass und dann wieder der Bläserchoral. Die Solo-Spots kriegen auch hier wieder Ricky Ford – so toll wie auf diesem Album kriegt man den meines Wissens selten zu hören (auf eigenen Aufnahmen hat er die Tendenz, etwas aus der Form zu gehen mit irren Verdichtungen, die manchmal etwas over the top sind, das tut er hier nie – je nach Geschmack mag sein Spiel einem drum hier gar verhalten scheinen) – und Lacy.

Die Dur-Version des Calypso ist gar nicht so fröhlich – Williams trägt die Performance mit seinem rollenden Riff, das Klavier füllt zwischen den Bläser-Riffs und spielt dann tatsächlich ein kleines Solo, hinter dem Riley mit den Besen auch ein paar Male etwas lauter auf die Snare schlägt. Dann kommt nochmal Ford, klingt wie ein alter Meister, etwas Luft im riesigen Ton, ein Hauch Vibrato, ein schneller Lauf. Und dann die Posaune, nochmal mit dem Plunger, klar. Das ist alles so toll – es ist nichts und doch alles. Betörend!

--

"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #160: Barre Phillips (1934-2024) - 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba