Antwort auf: Enja Records

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Sathima Bea Benjamin – A Morning in Paris | Ich springe ein wenig in der Chronologie, lasse „African River“ von Benjamins Ex-Mann aus (das folgt dann später, wohl zusammen mit dem bei Tiptoe erschienenen „No Fear, No Die (S’en Fout La Mort)“). 1988 erschien mit „LoveLight“ Benjamins erstes, im Vorjahr aufgenommenes Enja-Album, 1992 folgte das 1989 entstandene „Southern Touch“. Und 1997 brachte Enja auch noch „A Morning in Paris“ heraus, ihre erste Session, auf Duke Ellingtons insistieren hin entstanden am 23. Februar 1963 in den Barclay Studios in Paris mit dem damaligen Dollar Brand Trio (Brand-p, Johnny Gertze-b und Makaya Ntshoko-d), der nur pizzicato zu hörenden Violine von Svend Asmussen sowie auf je zwei Stücken anstelle von Brand Ellington und Billy Strayhorn am Klavier. 1997 war ich noch in der „Jazzgesang ausser Billie Holiday geht nicht an mich“-Phase (und verstand entsprechend auch Holiday noch überhaupt nicht, aber das begriff ich logischerweise nicht … das Coltrane/Hartman-Album und verstreutes anderes liebte ich aber bereits sehr, Nat Coles „After Midnight Session“ zum Beispiel – die Tür war schon einen Spalt offen; in Diana Krall war ich natürlich auch verknallt).

Die ganze Geschichte zu dieser Session gibt es im Booklet der CD, das bei Discogs vollständig vorliegt. Nach der Session mit Benjamin folgte eine mit Brand, die bald auf Ellingtons Label Reprise Records als „Duke Ellington Presents the Dollar Brand Trio“ erschien und dessen Karriere im Westen startete. Benjamins Album blieb verschollen.

Duke told me the record company people said it wasn’t commercial enough for a vocal album […] But he said, „When they tell you it’s not commercial enough, you must have something going on there. You keep doing what you’re doing – you’re my singer from Africa.“

„The tragedy for me, for 30 years […] was that I never heard the record. We recorded it, but I never got a copy. I asked for it and wrote letters. I found out eventually that the tapes were lost.“

„Want to hear it?“ Gerhard Lehner [der Toningenieur im Studio an diesem Tag] asked me . It turned out that, ever since he recorded Glenn Miller during the war, Lehner made a habit (and a secret) of running off two tapes of every session he supervised, one for the client, one for his private, personal collection. For three decades, he had a pristine copy of the „Bea Benjamin Sessions“ at home, a tape that no one else had heard until, on July 29 ,1994, Sathima and I listened to it on a boom box in New York.

Damned if Ellington wasn’t right.

~ David Hajdu, Liner Notes zur CD

Dass diese Aufnahmen „nicht kommerziell genug“ war, kann man sich heute schwer vorstellen. Vielleicht zu viele Balladen, keine Pop-Songs, keine aktuelleren Stücke … aber Benjamin hat schon hier ordentlich Charisma, ihre Stimme ist nicht gross, nicht laut, ihr Gesang erzeugt aber sofort eine Nähe, ja Intimtät, das alles wirkt sehr warm, atmosphärisch (auch die Aufnahme hilft da) – ich stelle mir vor, direkt daneben zu stehen, wenn die Stücke entstehen. Gemäss Hajdu sind das fast nur first takes. Benjamin – die wie Ibrahim nicht wusste, was Ellington genau mit ihnen vorhatte, als er sie zu einer Session ins Studio in Paris berief – schlug jeweils ein oder zwei Songs vor, Ellington sagte: „Let’s go!“ und wenn die Aufnahmen im Kasten waren: „Wonderful! Marvelous! What’s next?“ – so entstand ein Dutzend meist kurz gehaltener Standards: „Darn That Dream“, „I’m Glad There Is You“, „I Could Write a Book“, „I Should Care“, „“Spring Will Be a Little Late This Year“, „The Man I Love“, „Soon“, „Lover Man“, und auch ein paar Songs aus dem Ellington-Umfeld: „I Got It Bad and That Ain’t Good“ und „Solitude“ mit Ellington am Klavier, und Strayhorns „Your Love Has Faded“, auf dem der Komponist am Klavier sitzt, was er auch auf dem Closer, „A Nightingale Sang in Berkeley Square“, wieder tut.

Dass das Begleittrio eingespielt war, ist leicht zu hören – das kaschiert auch die eine oder andere kleine Unsicherheit von Benjamin … und die Beigabe der gezupften Violine von Asmussen war eine wirklich tolle Idee. Es gibt kein Album, das so klingt wie die über Jahrzehnte zum Mythos gewordenen „Bea Benjamin Sessions“. Enja (Winckelmann) hat sie 1997 herausgebracht. Und dank dem wiederholten insistieren von @vorgarten habe ich sie nochmal 16 Jahre später (grad geguckt, 2013 habe ich die CD gekauft) doch noch entdeckt. Ich war dann erstmal irgendwie schockverliebt – und darüber dann irgendwie so schockiert, dass ich die Aufnahme nur sehr selten angehört habe, quasi zu besonderen Momenten. Eine echte Preziose!

Sathima Bea Benjamin – LoveLight | Zwei Jahre habe sie am Opener „Winnie Mandela – Beloved Heroine“ gearbeitet, schreibt Benjamin, bedankt sich für die Unterstützung bei Buster Williams (er kriegt einen Co-Composer-Credit), aber auch bei Abdullah Ibrahim, der ganzen Band, bei Ellington, der immer noch ihr „musical guide and mentor“ sei. Gewidmet ist das Album ihrer Mutter, die wenige Tage nachdem die Aufnahme am 5. September 1987 bei RVG stattfand, verstarb – das wichtigste der „LoveLights“. Ricky Ford (ts), Larry Willis (p), Buster Williams (b) und Billy Higgins (d) sind dabei und erweisen sich als exzellente Band für die seit 1963 deutlich gereifte Stimme Benjamins. Von dazwischen kenne ich bisher zu wenig, nur das grandiose Album „African Songbird“ und ein paar Tracks aus der Compilation „Song Spirit“, die auch die Enja-Alben und die mir bis auf „Musical Echoes“ noch fehlenden Ekapa-Aufnahmen abdeckt. Ekapa ist dann noch so ein Label, das irgendwie mit Enja verbandelt ist und dann doch wieder nicht: Benjamin und Ibrahims 1979 gegründetes Label, auf dem auch „LoveLight“ parallel zu Enja 1988 veröffentlicht wurde, wenn man Dicogs glauben darf. Oft wirkt es nur als Co-Label (mit Enja und auch dem einen oder anderen, das BlackHawk-Album „Water from an Ancient Well“, das dann auch wieder bei Enja landete, hatte ich schon erwähnt). Von den genuinen Eigenproduktionen sind Ekapa 001 bis 003 und 006 von Benjamin (die kenne ich wie gesagt alle nicht, nur was auf der Compilation ist), 004 und 005 von Ibrahim (die sind hier und 005, „Ekaya (Home)“ ist eins meiner allerliebsten von ihm).

„You Are My Heart’s Delight“ von Franz Léhar ist dann das zweite Stück – hier wird Benjamin in der ersten Hälfte nur von Willis begleitet, der überhaupt auf dem ganzen Album gut ist. Die Originals „Music“ und „African Songbird“ folgen. Die zweite Hälfte öffnet mit dem letzten Original, „Gift of Love – for Duke“, dann folgen Noel Coward („I’ll See You Again“), Kern/Gershwin („Long Ago and Far Away“) und DePaul/Raye („You Don’t Know What Love Is“). Das ist Musik, die in ihrer immensen Wärme gar nicht so weit von den Alben von Ibrahim mit Ekaya entfernt sind (auf denen abgesehen von Willis alle drei Begleiter auch mal auftauchen), aber die Musik ist dann doch viel näher am US-Jazz. Arrangiert hat Benjamin alles selbst.

Ein grosses Highlight ist zweifellos „African Songbird“, das Higgins mit Talking Drums öffnet. Bass-Vamp, Trommel und darüber Benjamin. Der Gesang hat oft etwas Deklamatorisches, entfaltet auf mich nicht den gleichen Zauber wie die frühe Session – aber das dünkt mich auch ein unsinniger Vergleich.

Sathima Bea Benjamin – Southern Touch | Buster Williams und Billy Higgins waren auch am 14. Dezember 1989 wieder dabei, als Benjamin bei RVG ihr zweites Enja-Album aufnahm. Kenny Barron ist das neue Gesicht, ein beim Label vertrauter Musiker. Erschienen ist das Album erst ein paar Jahre später, trägt daher eine deutlich höhere Katalognummer.

Schon im Opener, „Loveless Love/Careless Love“, beschleicht mich kurz das Gefühl, dass Barron seinen Ibrahim-Gedenk-Modus auspackt – was er hier aber geschickt mit old-timey-chords mischt, wie sie diesem W. C. Handy-Medley natürlich angemessen sind. Im zweiten Song gibt es den verführerischen „Cape Town rhythm“, wie Benjamin ihn in ihren Liner Notes nennt, mit catchy Bass-Vamp und tänzelndem Klavier von Barron, während Benjamin beklagt, wie sie den Blues einfach nicht verjagt kriegt – ein fantastischer Einstieg! Es gibt dieses Mal ein reines Standard-Programm, aber nicht mit den Songs, die man bei sowas erwartet. „Street of Dreams“ (toll!), „I’ve Heard That Song Before“ und Jimmy Dorseys „I’m Glad There Is You“ folgen, dann „One Alone“ von Romberg/Harbach/Hammerstein – und ich glaube, das Stück kenne ich sonst überhaupt nicht. Dann ist das populäre „Together“ an der Reihe und zum Ausklang Ellington mit „I Let a Song Go Out of My Heart“ (wieder mit diesem Cape Town-Rhythmus, der irgendwo zwischen afro-cubanisch und Calypso mäandert) und Strayhorn mit „Lush Life“ (eh ein Lieblingssong, auch hier super – im Verse nur Barron, die zweite Hälfte dann mit dem ganzen Trio).

Vom Material her mag dieses zweite Album weniger persönlich wirken – aber dieser Eindruck täuscht. Benjamin verleibt sich diese Songs ein, lässt sie so persönlich klingen, dass schon mal der Eindruck entstehen kann, dass sie sie fast wie eine zweite Haut bewohnt, dass das ihre eigenen Songs sind.

Für alle, die wie ich die Japan-Ausgabe haben, gibt es bei Discogs auch hier einen kompletten Scan mit lesbaren Liner Notes. Und Benjamins Text dort suggeriert, dass sie – ganz die unabhängige Künstlerin, die ja eben auch ihr eigenes Label leitete – die Session selbst organisierte und wohl auch produzierte – es gibt keine Produktions-Credits, Winckelmanns Name taucht nur beim Name des Labels auf.

Ich kenne diese beiden Enja-Alben beide noch nicht sehr gut, habe sie in den Japan-Ausgaben von 2014 bzw. 2021, aber jeweils erst 2017 und 2023 gekauft. Das zweite Album ist mir heute eine Spur lieber und näher – aber das braucht natürlich alles Zeit und weitere Hörgänge. Beides Alben, die ich nicht missen möchte, wenn es auch keine Lieblingssalben sind.

Zwei Nachgedanken: früh oder spät – am liebsten mag ich Benjamin in langsamen Tempi (auch wenn ihre manchmal eigenwillige Intonation da stärker zum Vorschein kommt). Und RVGs Sound mag ich hier total gerne – die Stimme ist wunderbar aufgenommen, sonst fehlt zwar etwas von der Klarheit der meisten Enja-Produktionen, aber für diese zwei Alben passt sein „Mischklang“ super, und der Bass ist okay aufgenommen (Williams mag das halt auch, wenn er diese unnatürliche Resonanz hat, und spielt hier manchmal sehr gekonnt damit).

Und zuletzt mal noch ein grosses Dankeschön an @vorgarten fürs Insistieren, hier und anderswo (Alice Coltrane und Abbey Lincoln sind die ersten, die mir noch einfallen).

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