Antwort auf: Enja Records

#12299481  | PERMALINK

gypsy-tail-wind
Moderator
Biomasse

Registriert seit: 25.01.2010

Beiträge: 68,341

Ich bin gestern noch hier hängen geblieben: Carrie Mae Weems interviewt Adger Cowans – zum zweiten Mal, weil beim ersten Mal die Aufnahme nicht klappte:
https://bombmagazine.org/articles/2014/07/30/adger-cowans-carrie-mae-weems/

Und gehört habe ich noch und höre jetzt erneut:

David Murray / Dave Burrell / Wilber Morris / Victor Lewis – Lucky Four | Das ist das vierte Album von Tutu (888 008 für die LP bzw. 888 108 für die CD), aufgenommen am 25. September 1988 in den Trixi Studios und von Horst Weber produziert. Das CD-Reissue von 2007, das ich habe, lief dann auf Enja, ebenso (ein?) jüngere(s) LP-Reissue. Da gab es das Cover unten und aus den „Lucky Four“ wurde ein David Murray-Album. Bei der CD-Version vergass man mal eben (Never mind the friggin‘ details, it’s Enja, baby!) das Line-Up. Aus den Namen der Komponisten kann man was erahnen, da stehen auch die Namen von Burrell und Morris – aber Kunle Mwanga, der „Strollin‘ (For Jean Michel Basquiat)“ schrieb wird kaum der Drummer sein. Das ist dann eben Victor Lewis. Bei der LP gibt’s das nicht, irgendwo sah ich ein schön gestaltetes Rückcover, auf dem auch die Liner Notes zu finden sind, die Marty Cook schrieb. Hier scheint gemäss Discogs übrigens die CD 1988, die LP 1989 erschienen zu sein.

Doch was kriegen wir hier? Wenn ich in meiner polemischen „vor dem ersten Espresso“-Laune bin, würde ich sagen, sowas wie neo-traditionalistischen Faux-Free … allerdings beschränkt sich der Free-Anteil auf einige von Dave Burrells ausufernden Soli, denn Murray zeigt sich eher zahm und die Rhythmusgruppe spielt Time (nicht nur Puls). Vielleicht ist Lewis hier nicht die richtige Wahl … oder er ist genau richtig? Ich bin mir unschlüssig, jedenfalls fehlt ihm die Flamboyanz von Murray und Burrell. Vielleicht wäre das zuviel, aber vielleicht würde es manchmal auch etwas mehr Leben rein bringen?

Burrells Opener „Valley Talk“ mit seinem Tango-Rhythmus ist super charmant, Murray glänzt am Tenor, klingt wie ein verspäteter Schmusesaxer der Fünfziger. Dann folgt Morris „Chazz (For Charles Mingus)“ mit Murray an der Bassklarinette, irr entgleisendem Burrell-Solo (toll, wie nach der Diskant-Klimax in einen zweiten Teil navigiert, einfach nochmal weitermacht) und schönem Beitrag von Morris, den ich sowieso wahnsinnig gerne höre, egal in welchem Kontext. Dann folgt Morris‘ „As I Woke“, in dem Murray am Tenor zum ersten Mal so richtig abgeht – und das ist schon toll! Von Morris stammt auch noch der 12taktige Blues „Sharing“ – er ist hier also gleich dreimal als Komponist zu hören (Burrell zweimal, Mwanga einmal). Von „As I Woke“ und „Valley Talk“ gibt es auf er einstündigen CD noch jeweils eine „2nd Version“.

„Strollin“ für Basquiat ist dann wieder ein Bassklarinetten-Feature, in dem Lewis einen fetten Beat spielt. Mit dem kurzen Stück beginnt Teil 2 der LP, dann folgt „Abel’s Blissed Out Blues“ von Burrell, für den Cook wieder die Struktur erläutert: A1 dauert 8 Takte, A 2 deren sieben, gefolgt von einem B-Teil mit 8. Und hier gibt es auch eine Art Jump-Section, die irgendwas zwischen Calypso und a „A Tisket, A Tasket“ ist – aber am Ende für meine Ohren zur Parodie wird, obwohl Murray darüber abgeht. In „Valley Talk“ ist die Form noch viel extravaganter: 6 Takte Piano-Intro, 8 Takte A1, 9 Takte A2, 12 Takte B, 8 Takte A3, 6 Takte C (Intro-Rekapitulation) – ich ich glaub sie bleiben in Murrays Solo in dieser Form. Dann folgt „Sharing“, der erwähnte tolle Blues von Morris mit einem eingängigen Thema und einem hervorragend aufgelegten Murray, in diesem längsten Stück in der zweiten Hälfte zu hören, bevor Morris es beschliesst. Dann folgen dann die zwei zusätzliche Takes, die 1988 schon dabei waren, also als integraler Teil des Albums betrachtet werden sollten.

Das macht alles sehr viel Spass, aber verpufft irgendwie auch gleich wieder, ohne bei mir nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen – drum auch mein etwas überspitzt formuliertes Fazit. Cook streicht in seinen Liner Notes heraus, dass dieses Album gerade für die „detractors“, die Murrays Spiel für „harsh, undisciplined, chaotic“ hielten, eine „pleasant surprise“ sin sollte;: „the music is for the most part straight ahead, melodic, and swinging, played within traditional songform structures“, wobei er an der Stelle ein „well … almost“ nachschiebt, auf Burrells Twists bezogen, in den Formen seiner Stücke wie im Klavierspiel, „having assimilated styles as diverse as the stride of  James P. Johnson thru Cecil Taylor’s two-handed rhythmic assaults.“

--

"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #160: Barre Phillips (1934-2024) - 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba