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George Gruntz Concert Jazz Band – First Prize | Am 7. und 8. Mai 1989 nahm die Band von George Gruntz zum ersten Mal für Enja auf – im studio von Radio DRS in Zürich, abgemischt wurde es von Ron Kurz, einem hierzulande sehr bekannten Namen in der Branche, in den ebenso bekannten Powerplay Studios in Maur am Greifensee (eine Viertelstunde ausserhalb von Zürich). Die Band ist prominent besetzt: Marvin Stamm, Mike Mossman, Stanton Davis, Manfred Schoof & Franco Ambrosetti (t/flh), Tom Varner & Sharon Freeman (frh), David Bargeron / Joe Daley (euph), Howard Johnson (tuba/bcl), Chris Hunter (fl/ss/as), Ernst-Ludwig Petrowsky (fl/cl/ss/as), Bob Malach (fl/ss/ts), Larry Schneider (ss/ts), Vinny Golia (bari/bfl), Gruntz (p/arr), Mike Richmond (b) und Adam Nussbaum (d). Es gibt acht Stücke – auf der LP nur sechs, „E.B.S.B.M.O.“ von Kenny Wheeler und „Band Switch“ von Gruntz fehlen. Die sechs LP-Tracks hat zur Hälfe Gruntz komponiert, Ambrosetti, Ray Anderson und Larry Schneider jeweils eines. Nach der Tschernobyl-Anspielung bei Klatt gibt es hier den „Goby-Chief“ (Gruntz), in dem Bargeron am Euphonium soliert; Daley ist auf „Trance Figurations“ (Ambrosetti) dran, direkt nach em Horn-Solo von Varner. Johnson kriegt je ein Tuba- und ein Bassklarienetten-Solo, überhaupt ist fast jede*r mal dran, nur Freeman geht leer aus (klar, eine Frau in der Band, auch noch ein Solo wäre echt zuviel des Guten). Ambrosetti, Davis, Schoof, Hunter, Schneider, Gruntz selbst und Nussbaum sind auch mehrmals zu hören. Aber ebenso wichtig wie die Solisten sind die Arrangements von Gruntz, die mit der breiten Palette an Blech- und Holzinstrumenten viel anzufangen wissen.
Das ist moderner Big Band Jazz, der sich z.B. vor dem Mel Lewis Jazz Orchestra damals kaum zu verstecken braucht, vielschichtig in den Arrangements, in die die besten der Soli scheinbar nahtlos eingebettet sind. Schoof steigt in „Speaking of Love“ zum Beispiel nahtlos aus den Liegetönen des tiefen Blechs mit flächigen Linien in immer höhere Gefilde auf, um sich erst nach zahlreichen Phrasen loszureissen. Auch der massive Druck, den eine gute Big Band vor allem live erzeugt, ist vorhanden. Und das hervorragende Zusammenspiel, das dazu nötig ist, funktioniert bei diesen Leuten bestens – was auch damit zu tun hat, dass die Band relativ stabil war, obwohl Gruntz sie für jede Tour neu zusammenrufen musste. Sponsoren suchen, Auftritte planen, Musiker*innen anfragen … vor Jahren sah ich mal ein Portrait – vielleicht nach seinem Tod – im Schweizer Fernsehen, in denen er berichtete, wie viel Arbeit das jedes Mal war, aber wie gross die Freude bei allen beteiligten, wenn es gelang und man zusammen spielten konnte. Es gab über Jahrzehnte einen harten Kern, zu dem von den hier zu hörenden wenigstens Bargeron, Johnson, Hunter und Schneider gehörten, die alle auch 2011 noch dabei waren, als ich die Band zum einzigen Mal live hörte (damals war mit Tanya Darby eine tolle Lead-Trompeterin dabei – auch nichts, was man öfter erlebt).
Der Albumtitel bezieht sich auf den „Best Performance Award“ von 1989, den die George Gruntz Concert Jazz Band für ihren Auftritt in Tokyo gewann. Bei den Danksagungen wird Pro Helvetia für den Support der 1989er-Tour gedankt, der später grössenwahnsinnig gewordenen Schweizerischen Bankgesellschaft (die deshalb 1998 geschluckt wurde, worauf die UBS entstand, die inzwischen jenseits des Grössenwahns angekommen ist), und lustigerweise Rank Xerox für „tons of photostats!“ – tempi passati in so vieler Hinsicht, nur Pro Helvetia existiert noch, aber das ist auch bloss eine kleine unbedeutende Stiftung (gegründet 1939 als Organisation zur Förderung der „Geistigen Landesverteidigung“ und als Förderin von Kulturschaffenden ganz und gar nicht unbedeutend, auch kulturpolitisch nicht, wird doch der Stiftungsrat direkt von der Landesregierung ernennt).
Lieblingsmusik ist da echt nicht, aber um Gruntz (1932-2013) herumzukommen war in der Schweizer Jazzwelt seit den Sechzigerjahren fast unmöglich – und auch überhaupt nicht nötig, denn er hat wirklich gutes Zeug gemacht, nicht zuletzt auch mit den Radio Big Bands vom WDR und vom NDR (TCB hat da mal eine 10-CD-Box mit dem Titel „Radio Days“ herausgebracht). In der Schweiz gab es eine solche ernstzunehmende Rundfunk-Big-Band nie, nur Unterhaltungsorchester … wenn ich „DRS Big Band“ – DRS hiess früher das Schweizer Radio – google, finde ich z.B. einen Treffer zu einer Sendung von 2010 mit Aufnahmen aus den 70ern, als Horst Fischer zu Gast war und Glenn Miller-Stücke spielte … in der Tracklist steht dann „UOR“, was eben für Unterhaltungsorchester steht).
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Damit bin ich im 6000er-Bereich des Katalogs angekommen, wo meine Bestände langsam dünn werden. Die Gruntz-Scheibe habe ich auch nur als Kopie aus der Bibliothek (solche gibt es hier auch, aber sie haben kaum Jazzbestände).
Die erste Lücke ist auch schon hinter mir – Gruntz ist 6004. Ich höre aber hier auf, die Lücken zu erwähnen, denn es sind zu viele. Wikipedia bietet eine soweit ich sehen kann zumindest bis in die niederen 9000er-Nummern (da wurde das Schema geändert, die ganze zweite Hälfte des Enja-Katalogs findet sich im 9000er-Bereich) komplette Liste:
https://en.wikipedia.org/wiki/Enja_Records
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