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Gunther Klatt & Elephantrombones – Live at Jazztage Leverkusen | Bevor ich die fünf mir verbleibenden Alben der 5000-Katalognummern abschliesse, ein kleiner Abstecher: es gibt auch das: ein ENJA-Album, das eigentlich ein TUTU-Album ist. Das zeigt sich darin, dass Peter Wiessmüller produziert hat (Weber tritt als „supervisor“ auf) und seine Pasparamas Music auch als Verlag der Klatt-Kompositionen auftritt. Das Album mit den vier Posaunen (Jörg Drewing, der auch Sopranposaune spielt, Daniel Casimir, Roberto Mandruzzato und Leo Gmelch an der Basssposaune) hat einen gewissen Krawallfaktor, aber die Rhythmusgruppe (Jürgen Wuchner/Andreas Krieger) ist gut und der Leader am Tenorsax in Form. Es gibt kurze und lange Stücke, „Jazz & Roll & Art & Soul“ macht den Abschluss, eine Art Novelty-Stück, „Benniethelonious“ könnte durchaus Wallace gewidmet sein, der ja auch ein Monk-Album herausgebracht hat? (Liner Notes Fehlanzeige), es gibt das „Radioaktive Kinderlied ‚Tschernobuppi'“, die Suite „That’s the Monk I See Now“ und weitere Stücke Titeln wie „Sex on Zebra“. Aufgenommen wurde das Album bei den 8. Jazztagen Leverkusen am 24. Oktober 1987 (vom WDR wohl, die Namen der Toningenieure sind Ansgar Ballhorn und Brigitte Esser).
Als Bonus finden sich auf der CD (1989, die LP kam 1988 – ganz simultan war man wohl nie bei Enja) noch drei Stücke, 21 Minuten vom 12. Juni 1988 beim Festival in Münster, wo eigentlich Tomasz Stanko hätte auftreten sollen. Diesem wurde die Ausreise verweigert und als Stand-In-Band war Klatt mit Quartett zur Stelle (dieselben wie oben, aber nur Drewing von den Posaunen) – und das ist dann der Teil der Musik, den ich wirklich stark finde hier. Nicht zuletzt „Takino Off from Body and Soul“, mit dem Klatt sich in die Reihe der Tenorsaxophonisten einschreibt, die grosse Aufnahmen von „Body and Soul“ machten. Er ist dabei Wallace eben tatsächlich nicht unähnlich, wenn auch mit anderem Ton: kantig, rau, emotional, direkt. Die Musik des Quartetts hat einen offenen Geist und sein Spiel geht auch mal an den Rand des Tonalen oder zumindest der konventionellen Spielweisen.
Die Infos (Stanko, Stand-in) und auch die Einschätzung, dass der ausharrende Teil des Publikums Teil „of the pleasure of a rare happening, that is, the way a stan-in bandd elevated itself to a special attraction of the festival“ geworden sei, gibt es im Booklet der fünften Veröffentlichung (CD-only gemäss Discogs) von TUTU, Int. Jazzfestival Münster, auf der noch zwei Stücke vom Auftritt des Klatt-Quartetts in Münster zu hören sind:
Die tolle Cover-Art stammt von Inge Prokot, „softsculptures made of steams, lampskin & objets trouvés; created at Cologne 1975 – 1978“ steht dazu. Das auf dem Frontcover heisst „Elephantenenvironment“, das auf dem Rückcover, das ich nur für die Kunst auch noch einbinde, „One Phase of Elephant-Stele“ (das Foto der Band ist reinmontiert auf den Sockel der Installation). Ich nehme an die Titel waren mal Deutsch, vielleicht ist das hinten nur eine Vorstufe („Phase One“ könnte beim manchmal etwas linkischen Englisch damals durchaus „Erste Phase“ heissen?) zu tollen mehrteiligen Installation auf dem Frontcover. Viele Infos finde ich über Prokot (1933-2012) leider nicht, kannte sie auch gar nicht.
Das ist ein TUTU-Album, das hier mitspielen darf: Das Jahr ist 1990 und „TUTU RECORDS is a division of Enja“, gefolgt von der gemeinsamen Adresse, steht ganz unten auf der Rückseite. Zweimal ist hier wieder „Art of the Duo“ zu lesen: zum Einstieg gibt es drei lange Stücke, fast eine halbe Stunde, von Albert Mangelsdorff mit John Scofield, zum Ausklang ein knapp neunminütiges Stück mit Aki Takase und Alexander von Schlippenbach. Dazwischen sind die Marty Cook Group mit Jim Pepper (ein zehnminütiges „Comin‘ to Get You – A Homage to Mr. D.C.“ und ein kurzes „Face the Nation“) und das Gunther Klatt Quartet (nochmal eine über Viertelstunde Musik, zusammen fast 37 Minuten, im LP-Zeitalter hätte das direkt für ein Album gereicht) zu hören.
Das erste Duo funktioniert längst nicht so gut wie das von Lee Konitz mit Albert Mangelsdorff – aber ich finde es interessant, John Scofields Gitarre in so einem relativ kargen Rahmen zu hören, weil man sie quasi komplett hört, auch Aspekte, die in Band-Aufnahmen eher verschluckt werden. „Relativ“ schreibe ich dazu, weil Mangelsdorff ja bekanntlich mit einer vokalisierten Multiphonics-Posaune manchmal schon ganz allein wie eine halbe Elefantenherde klingt. Dennoch fange ich mich hier recht schnell etwas zu langweilen an, egal wie attraktiv das klanglich immer wieder ist. Nach je einem Original ist wohl der Set-Closer zu hören, „Alfie’s Theme“ von Sonny Rollins – und es ist schon recht toll, wie Scofield hier das Thema präsentiert, von Mangelsdorff nur walking-mässig begleitet, dabei selbst auch Basstöne und dann einen tiefen Basslauf wohl am untersten Ende der Gitarre beisteuernd.
Marty Cook ist als Posaunist sicher nicht annähernd so gut wie Mangelsdorff – aber die Musik ist sofort ein paar Stufen lebendiger, wenn die Don Cherry-Hommage von Jim Pepper beginnt. Schuller/Betsch sorgen für einen pulsierenden, dunklen Beat und nach dem Leader übernimmt Pepper mit seinem kantig singenden Ton (wie toll Betsch ihm den Teppich ausrollt … schnelle Beckenschläge hier, eine angedeutete press roll da, ein paar „bombs“ von der Bass-Drum, und immer wieder patterns oder einzelne heftige Schläge auf der Snare). Und dann Teil 2, ein neues arrangiertes Riff und dann singt Pepper: „There comes an Indian comin‘ through the pass (past?) / Just to kick you in the ass / There comes an Indian, comin‘ real fast / Just to kick you in the ass.“ – und dann kriegt John Betsch das verdiente Solo. Was für eine tolle Performance! „Face the Nation“ von Cook, dem langen Applaus und der kurzen Ansage nach zu schliessen wohl die Zugabe des Sets, ist dann mit 2:46 Minuten ein kleiner Nachgedanke – natürlich Jim Pepper gewidmet.
Das Album könnte auch hier enden … tut es aber zum Glück nicht, denn weiter geht es mit einer weiteren grossen Balladenperformance von Gunther Klatt, „Chelsea Bridge“ mit einem langen Solo-Intro (was hattest Du schon wieder im BFT von ihm @redbeansandrice? War’s das hier?). „Kuriosita“ ist das zweite Stücke der Klatt-Band, ein Romp mit Tailgate-Posaune über eine Art Two-Beat-Groove. Posaunist Jörg Drewing kriegt das erste Solo und braucht sich nach Cook nicht zu verstecken. Dann ist Klatt dran, hinter ihm bald wieder Tailgate-Posaune … ich stelle mir das live etwas fesselnder vor, auf CD bin ich für die Balladenperformances da (oder höre mein anderes Klatt-Album, das aus der Post-Enja-Zeit bei Tutu stammt, „Gunther Klatt & New York Razzmatazz Vol. 1“ – aufgenommen zwar schon 1991 (Frank Lacy, Ed Schuller, Ronnie Burrage), aber erst 1995 erschienen (und wo bleibt Vol. 2? Her damit!).
Das Duo der Stand-Up-Comedians, die sich aus der Stummfilmzeit ins Nachkriegsdeutschland verirrt haben und letztes Jahr beim Jazzfest Berlin wieder mal zu erleben waren, ist zunächst eher introspektiv, irgendwann fangen sich Linien in denselben Lagen zu überlagern an – es gibt eine gewisse Verdichtung, der aber mit Entzerrung des Tempos begegnet wird, bis dann aus der Ruhe hinaus wieder Beschleunigungen und Verdichtungen gesucht werden. „Fictitious Paragon“ nennen Aki Takase und Alexander von (hier Alex v.) Schlippenbach ihr schönes Stück, mit dem das Album schliesst.
Was man manchen CDs aus der Zeit vielleicht wirklich vorwerfen kann: sie sind zu lang. Die Münster-Compilation mit ihren 70 Minuten kann man ja sehr gut gestückelt hören (die vier „Art of the Duo“-Tracks sind um die 40 Minuten lang und auch grad eine gute LP, 17 von Klatt un 13 von Cook/Pepper sind da fast eine Art Bonus, der halt in die Mitte geschoben wurde), bei Klatt kann man Münster weglassen, verpasst dann aber das, was die CD von „hörenswert“ zu „ziemlich toll“ macht.
Und noch dies: ENJA bietet ein einziges Blatt von 12 x 12 Centimetern als Cover, bei TUTU gibt es ein Booklet von 8 Seiten, darin s/w-Fotos von ScoMa, Cook/Pepper und Takase (mit gekreuzten Beinen am Klavierspielen – sie war schon immer auch eine Poserin) sowie ein Foto von Ed Schuller vor einem grossen Poster, auf dem ein anderer Bassist zu sehen ist (wer?), daneben eine (bei Takase und Mangelsdorff unvollständige) Enja/Tutu-Diskographie der Künstler, die auf der CD zu hören sind.
PS: Eigentlich hiess er schön Günther, der Klatt? Hier ist er überall mit „u“ geschrieben … vermutlich bestand die Hoffnung, es ennet dem Atlantik zu schaffen und da sind Umlaute halt im Weg.
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