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Attila Zoller – Memories of Pannonia | Wie @vorgarten im Gitarren-Trio-Faden schreibt, geht die musikalische Reise bei Zoller weiter nach vorn, aber er blickt hier auch zurück nach Pannonien, die historische Landschaft in Westungarn (das beim Wienerwald beginnt). Mit dabei sind Michael Formanek am Kontrabass und Daniel Humair am Schlagzeug, los geht es mit dem „Circle Waltz“ von Don Friedman, mit dem Zoller in den Sechzigern mehrmals aufgenommen hatte. Ein recht ruhiger aber beschwingter Einstieg, in dem die Stärken dieses Trios bereits deutlich werden: man agiert gemeinsam als Kollektiv, reagiert aufeinander – weiss aber auch Räume zu lassen, gemeinsam zu atmen. Klanglich ist das weit weg von den früheren Trios auf Enja (das Solo-Album „Conjunction“ muss ich später noch dazwischenschieben), vorgarten schreibt im schon verlinkten Post, man reibe sich hier „die Ohren, wie selbstverständlich er abercrombies freien swing der 70er mit einem völlig effektfreien ton übernimmt und als ein drittel in einer band aufgeht, bei der sich alle gegenseitig in die lücken atmen.“ Die Aufnahme – mal wieder im Tonstudio Bauer in Ludwigsburg, Juni 1986 – ist vorbildlich: warm, detailliert. Das vierzehnminütige Titelstück hat dann tatsächlich etwas von eine Reise. Über gestrichenen Basstönen und einzelnen Beckenschlägen spielt Zoller frei-schwingende, nachdenkliche Linien – mit dem recht obertonreichen, etwas „dreckigen“ Ton, den er hier hat, spielt er sehr klar, lässt die Töne auch mal etwas schwingen, wie man es von einer Sitar kennt. Nach über drei Minuten fällt er in ein einfaches Themen-Motiv, zu dem sich der jetzt gezupfte Bass gesellt. Nach einer halben Minute fällt das Trio in time und von da geht es weiter durch mehrere Abschnitte mit unterschiedlichem Material und wechselnden Tempi. Humair agiert zunächst weiterhin recht zurückhaltend, dreht dann aber ordentlich auch, dabei aber stets die Besen einsetzend. Dass @vorgarten schreibt, Humair male „unglaublich viele schattierungen“ passt natürlich, denn dieser betätigt sich ja tatsächlich seit den Sechzigern auch als Maler abstrakter Gemälde. Formanek kriegt dann ein Solo und gegen Ende gibt es ein Mingus/Richmond-artiges Accelerando. Die zweite Hälfte öffnet mit Formaneks „Beam Me Up!“, gefolgt von Ellingtons „Sophisticated Lady“ und zum Abschluss Zollers „Obsession“ – zwei schnellere Stücke und eine Ballade in der Mitte, in der Zoller mit einem Solo-Intro glänzt, im Thema wunderbar von Formaneks Bass umspielt wird. Im Closer spielt Humair dann tatsächlich mal mit Sticks … und das Stück klingt für meine Ohren eine Spur konventioneller als der Rest des Albums, was mit dem straff arrangierten Thema und den streckenweise ziemlich boppigen Phrasen von Zoller zu tun hat, dessen Ton hier auch etwas weniger resonant, etwas klarer klingt. Ein tolles Album, das ich jetzt dreimal gehört habe (um genau zu sein: Zoller, Galper, Galper, Zoller, Zoller, Anderson – „nur“ fünf Alben bisher, aber )
Hal Galper – Dreamsville | Hier ist es mit der sicheren Wahl der Schrift-Typen mal rasch vorbei … und das ist etwas fies, denn so konventionell wie die Schrift suggeriert, ist das gar nicht. Hal Galper (p), Steve Gilmore (b), Bill Goodwin (d) am 3. März 1986 von Don Heckman im Planet Sound in NYC aufgenommen, produziert von Artie Bressler – und ich weiss nicht, ob das ev. eine Fremdproduktion (bzw. Eigen-) ist, die dann von Enja herausgebracht wurde? Bressler hat bei Discogs kaum Credits, schwer einzuschätzen. Das Album zog ich vor wohl 20 Jahren aus einer Grabelkiste, ich kannte das Trio schon als kompetente Begleitgruppe von Phil Woods, Begeisterung kam damals nicht auf, die CD lief seither höchstens fünf Mal. Heute gefällt es mir vergleichsweise besser. Wenn Galper nicht zu sehr in Hard-Bop-Manierismen fällt (was er leider ausgerechnet beim so geliebten „Surry with a Fringe on Top“ etwas zu sehr tut … Gene Harris und Wynton Kelly grüssen hier wiederholt), ist das frischer und von der Atmosphäre her offener als ich es erinnert hatte. Los geht es mit Jobim („Once I Loved“), es gibt noch „Don’t Blame Me“ und den Titeltrack von Henry Mancini, dazu drei Jazz-Tunes: „High Fly“ (sic) von Randy Weston, „Lament“ von J. J. Johnson (nicht zum ersten Mal auf Enja) und als Closer das obskurste der sieben Stücke „Sweet Pumpkin“ vom Pianisten-Kollegen Ronnell Bright. Dass das Trio total eingespielt ist, wird klar, es gibt immer wieder gute Arrangements, kleine Dinge, die verraten, dass sich wer Gedanken gemacht hat, Orgelpunkte vom Bass, zwischendurch komponierte oder wenigstens irgendwie abgesprochene Passagen … und doch wirkt das alles recht spontan und eben: überraschend frisch und offen. Eine kleine Wiederentdeckung, die ich noch viel weniger erwartet hätte als die von Stubblefield oder „Scratch“ (das deutlich besser bleibt, gar keine Frage).
Ray Anderson – Old Bottles–New Wine | Beim Hervorsuchen einer CD, die ich an sich nicht wiederhören wollte, kam diese verschollen geglaubte Ray Anderson-CD auch wieder zum Vorschein (gesucht habe ich „Sonnet for Sal“ vom Porter-Praskin Quartet mit Sal Nistico, und vorhin auch „Tango Para Charlie“ von Mariano mit Quique Sinesi noch aufgespürt … dort, wo ich „Dreamsville“ erwartet hatte, aber die hatte ich schon länger mal zu den anderen Galper-CDs gelegt … meine Ordnung wächst quasi in Schichten und verformt sich von da an dann amöbenartig weiter … ich red mir ein, das sei Gedächtnistraining). Katalognummer 4098, bin daran also schon vorbei. Classic Sound, New York, 14. und 15. Juni 1985, Ray Anderson (auf dem Rückcover als Kafka-Beuys), Kenny Barron, Cecil McBee, Dannie Richmond. Für einmal habe ich hier eine US-CD-Ausgabe von 1985, inzwischen definitiv zeitgleich wie die LP-Ausgaben veröffentlicht. Und Liner Notes sind auch üblicher inzwischen, in diesem Fall stammen sie von Michael Cuscuna (das ist ein Verlust, der mich echt sehr schmerzt … irgendwie war er immer da, auch wenn er mal falsch lag – mit seiner halben Missachtung von Les McCann oder The Three Sounds – ein ständiger Begleiter für mich als CD-Hörer, die ganzen Impulse-CDs der 90er, die Blue Note-Ausgrabungen, natürlich Mosaic Records und daneben noch viel mehr, Arista, Freedom, Muse etc.).
Von den drei Alben vielleicht das konventionellste: Standard Time bei Enja, ein Showcase voller wilder Romps für die virtuose vokale Posaune von Ray Anderson, die ich so vor 20-25 Jahren enorm gerne mochte, dann aber aus den Augen und Ohren verloren habe. „Love Me or Leave Me“ ist der rasante Opener, nach dem Leader Barron und Richmond (toll!), alles sehr kompakt, in unter fünf Minuten durchmessen. „Bohemia After Dark“ (korrekterweise mit Bass-Solo zwischen zwei tollen Posaunen-Improvisationen mit Plunger), „La Rosita“ (klar ist das super … ich liebe so sentimentales Zeug, can’t help it), „Ow!“, „In a Mellotone“, „Laird Baird“ sind die folgenden Klassiker, im Closer „Wine“ ist Anderson dann auch als Sänger zu hören – dazu Cuscuna in den Liner Notes: „The tune was written by Avon Long and Reginald Beame and given to Ray by Long’s daughter Ellyn. Long was a major figure in Harlem Nightlife and Black New York Theatre. Among other accomplishments, he was the original emcee of the Cotton Club and the originator of the role of Sportin‘ Life in the first production of PORGY AND BESS. The song is not unlike many of Hoagy Carmichael’s in its humor and lazy lace.“ (Kleine Bemerkung zum Bass: hier klingt McBee super, auch wenn er den Bass lang ausklingen lässt – eine gute Balance mit etwas Hall … Jim Anderson war der Toningenieur. Es tut mit weh, wenn McBee nicht gut klingt, denn ich schätze ihn sehr.)
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #160: Barre Phillips (1934-2024) - 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba