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John Stubblefield – Bushman Song | Am 22. und 23. April 1986 fanden Stubblefield und Lewis sich mit Geri Allen, Charnett Moffett und Mino Cinélu im Sound Ideas Studio in New York ein, um Stubblefields Debut für das Label einzuspielen. Das ist ein Album, in das ich in den 90ern (es gab 1998 ein Reissue für die 25th Anniversary Series, das ich nach Geri Allens Tod dann auch gekauft habe) mehrmals im Laden angespielt hatte, aber vermutlich nicht über den Titeltrack hinausgekommen bin, der in eine Richtung geht, die ich damals (trotz viel Liebe für den Miles der 80er) nicht ertragen konnte. Die „electric version“ des Titeltracks mit Keyboards, elektrischer Bassgitarre und Stubblefield am Sopransax, wirkt schon ein wenig wie ein Fremdkörper auf diesem Album, auf dessen 1998er-Ausgabe ein kleiner Promo-Text aufgedruckt wurde, der das Album als Pionier-Effort in der Fusion von „jazz and ethnic music, ‚the chant of the technological urban complex with the chant of prehistory‘ (Stanley Crouch)“ abfeiert. (Das Zitat stammt wohl aus den Liner Notes, die bei meiner CD-Ausgabe leider zu Gunsten einer kurzen Biographie Stubblefields weggelassen wurden.)
Hier wird auf jeden Fall viel Territorium vermessen zwischen den beiden Versionen des „Bushman Song“ (die abschliessende ist dann die „acoustic version“), Cinelus „Mwé Malad O“ (Sopransax-Riffs zwischen den Gesangsstrophen des Komponisten) oder „Calypso Rose“. Es gibt zupackenden Jazz der Post-Coltrane-Schiene in „Serenade to the Mother Land“ (Allen und Moffett hier dann an Klavier und Kontrabass) – und ich erlaube mir hier, froh zu sein, dass man nicht zu RVG ging, wenn ich den Bass von Moffett höre, der trocken und tief klingt, der alle Lücken in der Musik zudecken würde mit dem flächigen Klang von McBee auf dem Vorgängeralbum, der Musik den Atem rauben würde. Ein feines Solo von Allen (da ist die Offenheit, die bei Barron fehlt), während der Leader am Tenor zunächst nur das Thema variiert, bis er in einen Dialog mit Drums und Percussion tritt. Zwei Töne vom Bass, schwebende E-Piano-Akkorde, ein allmählich einsetzender Beat, ein etwas distanziert klingendes Sopransax darüber – so öffnet „Some Things Never Change“. Der Bass wird etwas dichter und setzt dann nach knapp drei Minuten zum Solo an und erst danach ist der Leader dran. Das ist ein sehr tolles Stück, ein Update von Mwandishi vielleicht? Jedenfalls finde ich die Atmosphäre echt schön – und es ist toll, dass niemand auszubrechen versucht (mehr spielen, verdichten, irgendwas Aufbauen). Das kurze „Lost of a Moment“ über einen Groove, der erneut von Herbie Hancock aus den Siebzigern stammen könnte, setzt perfekt an das Cinelu-Stück an – und bietet neben Keyboard-Sounds, die manchmal fast wie Harfen-Arpeggi klingen, ein tolles Solo vom Leader am Tenorsax.
Die zweite Hälfte bietet zwei lange „akustische“ Nummern, „East Side – West Side“ und die zweite Version von „Bushman Song“, zwischen denen das erwähnte „Calypso Rose“ programmiert ist, ein einfaches Riff-Thema, in dem bald die ganze Band (der Leader am Sopran) aussetzt, um Cinelu den Solo-Platz zu überlassen. Auch im akustischen „Bushman Song“ spielt Stubblefield wieder Sopransax. Sein Ton auf dem Instrument ist anders als der raue, üppige Sound am Tenor: rund zwar, selten hart, nie schrill, aber doch sehr klar konturiert, dabei aber relativ weich – sehr schön auf jeden Fall. Wie die Rhythmusgruppe sich hier hinter dem Leader verzahnt, ist super, Lewis und Allen scheinen einen guten Draht zu haben, aber auch die Einbettung von Cinelu ins ganze Gefüge klappt hervorragend. Moffett soliert nach dem Leader und wechselt zum Bogen, woraus sich ein Dialog mit Allen entspinnt und am Ende eher ein Rhythmusgruppensolo daraus wird (Lewis und Cinelu setzen eh nie aus), bis der Leader nach ein paar arpeggierten Akkorden (der Geist von Alice Coltrane schwebt vorbei) wieder einsteigt. Ein starker Abschluss eines ebensolchen Albums.
Diese Album ist einer der Fälle, bei denen ich meinem jüngeren Selbst zurufen möchte: Nimm Dir etwas mehr Zeit, hör etwas genauer hin, leg mal Deine Vorurteile zur Seite! Ein ziemlich tolles Album, das ich weiter entdecken werde, jetzt wo ich weiss, wie viel es zu bieten hat.
Das Cover mochte ich schon immer … man erwartet da vielleicht etwas Exotischeres, aber es ist „Fritz Hagl, Elba (Italy)“, so der Credit im Booklet. Stubblefield nahm bald erneut für Enja auf – das hier ist Katalognummer 5015, 5051 ist sein „Countin‘ on the Blues“ mit Hamiet Bluiett, Mulgrew Miller, Moffett und Lewis. Könnte auch lohnen, aber ich kenne es bisher leider nicht.
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Lücken vor Barron und nach Stubblefield (Katalognummern 5013 und 515):
5009 – Uli Lenz – Midnight Candy
5011 – Clark Terry and Red Mitchell – The Duke and Basie
5017 – David Friedman – Shades of Change
5019 – Herb Geller – Birdland Stomp
5021 – Mal Waldron – Mal Waldron Plays the Blues (das Enja-Reissue davno)
5023 – Conexión Latina – Un Poco Loco
5025 – Blue Box – Stambul Boogie
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